Erik Steinbrecher – Schluss mit Öko, 2007 – Foto: David Aebi
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Erik Steinbrecher – Schluss mit Öko, 2007 – Foto: David Aebi
Erik Steinbrecher – Schluss mit Öko, 2007 – Foto: David Aebi
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Erik Steinbrecher – Schluss mit Öko, 2007 – Foto: David Aebi
Erik Steinbrecher – Schluss mit Öko, 2007 – Foto: David Aebi
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Erik Steinbrecher – Schluss mit Öko, 2007 – Foto: David Aebi
Erik Steinbrecher – Schluss mit Öko, 2007 – Foto: David Aebi
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Erik Steinbrecher – Schluss mit Öko, 2007 – Foto: David Aebi
Erik Steinbrecher – Schluss mit Öko, 2007 – Foto: Roman Kurzmeyer
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Erik Steinbrecher – Schluss mit Öko, 2007 – Foto: Roman Kurzmeyer
Erik Steinbrecher – Schluss mit Öko, 2007 – Foto: Roman Kurzmeyer
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Erik Steinbrecher – Schluss mit Öko, 2007 – Foto: Roman Kurzmeyer

Mit 1000 Frikadellen aus dem Supermarkt und einer in Aluminium gegossenen Doppelbaguette im Gepäck fuhr Erik Steinbrecher von Berlin in die Schweiz, um in Amden auszustellen. Ein Jahrhundert zuvor hatten Berliner Lebensreformer dieselbe Fahrt unternommen. Im engen Stall im Sockelgeschoss der Scheune, in der die Buletten – wie der Berliner sagt – und die Baguette ausgestellt werden sollten, wurden bis vor wenigen Jahren in der kalten Jahreszeit Rinder und Kühe gehalten, die nach der Alpsömmerung auf den umliegenden Weiden grasten und im Winter mit dem Heu gefüttert wurden, das aus der näheren Umgebung des Gadens eingebracht worden war. 

Die Spuren dieser einfachen, unsentimentalen Haltung und Nutzung der Tiere sind bis heute sichtbar, spürbar und riechbar. Die in Sichtweite zur Scheune von den deutschen Siedlern um Josua Klein am unteren Amdenerberg 1903 geplante Tempelanlage dagegen blieb eine unrealisierte und merkwürdige, in Erzählungen, Zeichnungen und Bauplänen überlieferte Idee. Konzeptuell war Steinbrechers Reise eine Reinszenierung jener Fahrten zivilisationskritischer Sinnsucher aus Berlin in das vermeintlich intakte Bergdorf, welche paradoxerweise die Urbanisierung der ländlichen Verhältnisse beschleunigte.

Die Installation im Gaden, bestehend aus den von Steinbrecher auf Drähten aufgezogenen und danach unter dem Dach aufgehängten Buletten und der frei im Raum hängenden Baguette, thematisierte das Rohe, Ungeschützte, Elementare der vorgefundenen Situation und die relative Nähe zu den Naturkräften, stellte diese jedoch zugleich infrage. Fleisch und Brot stammten nicht aus bäuerlicher, sondern aus industrieller Produktion und waren wie ein beliebiges Material industriell verarbeitet und vermarktet worden. Neben der Ausstellung im Gaden, die mit der Abnahme und Verbrennung der während der Herbstmonate getrockneten Buletten endete, waren am ersten Ausstellungstag auch Interventionen mit den Frikadellen auf der Wiese vor dem Haus zu sehen, die das Prozesshafte der Arbeit zusätzlich betonten.

Das billige, weltweit in grossen Mengen konsumierte Fleischfabrikat aus dem Discounter gehört mit seiner unverwechselbaren, modellierten Form ebenso zum Fundus anonymer Gestaltung wie Bauteile aus dem Baumarkt, die Erik Steinbrecher oft in seinen Arbeiten verwendet; die ästhetische Erfahrung unterscheidet sich allerdings durch das Material, rohes Fleisch, grundlegend. Kontrovers waren die Reaktionen auf die Installation im Gaden und auf die in Linien auf der Wiese ausgelegten Buletten allein aus diesem Grunde. Zur Diskussion gestellt wurde in dieser Arbeit nicht nur, was Kunst leisten soll und auf welche Materialien sie dabei zurückgreifen darf. Zur Diskussion steht auch das Verhältnis des Menschen zur Nahrung, zum Tier, zur Natur in hochindustrialisierten Gesellschaften. Was ist authentisch? Wie lassen sich echt und imitiert unterscheiden und wie bewerten? Ekel und Verunsicherung, Empfindungen, denen sich selbst der Künstler bei der Arbeit mit den Fleischwaren nicht entziehen konnte, und die Fragen, die seine Materialwahl aufwirft, sind ein wesentlicher Bestandteil der für diesen Ort geschaffenen Arbeit. Steinbrecher distanziert sich von der Ästhetisierung aller Bereiche der Gesellschaft, die für die Lebensreformbewegung um die Wende zum 20. Jahrhundert kennzeichnend war und teilweise auch von der zeitgenössischen Kunst betrieben wird. Sein Ansatz ist vielmehr – im Sinne Walter Benjamins – die Politisierung des Ästhetischen. Die Fotografien im vorliegenden Buch erzählen von einer künstlerischen Arbeit, die als vielgestaltiger, gänzlich utopiefreier, plastischer Prozess aufzufassen ist, der mit dem Einkauf der Buletten in Berlin begann und mit deren öffentlichen Verbrennung am 22. Dezember 2007 in Amden endete. Themen, die mit dem Genius Loci verbunden sind, wurden in diesem Prozess berührt, aber nicht entfaltet. Die Arbeit bestand in diesem Transformationsprozess, aus dem kein musealisierbares Werk hervorgehen sollte. Es war ein in vielerlei Hinsicht anspielungsreicher und hermeneutisch gefährlicher Prozess, da dieser von den Berührungspunkten zwischen »Wirklichkeit« und »Fiktion« handelte und somit immer wieder über die vorläufige materiale Ordnung hinausführte. Eine Methodik daraus abzuleiten, wäre verwegen, die Aktion bleibt unwiederholbar.

– Roman Kurzmeyer 

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