1912 kehrte der in Bern aufgewachsene Maler Otto Meyer (1885–1933) aus Stuttgart, wo er als Meisterschüler Adolf Hölzels (1853–1934) studiert und anschliessend in einem kleinen Vorort als freier Künstler gelebt hatte, in die Schweiz zurück.Er zog zu Hermann Huber (1888–1967), der um die schwierigen finanziellen Verhältnisse seines Künstlerfreundes wusste und ihn deshalb zu sich nach Amden am Walensee eingeladen hatte, wo er im selben Jahr ein Bauernhaus bezogen hatte. Das Jahr 1913 verbrachten sie gemeinsam in Amden, danach überliess Hermann Huber das Haus ganz seinem Malerkollegen, der nicht nur bis 1928 dort bleiben, sondern sogar den Dorfnamen zu seinem eigenen machen sollte. Es wohnten ausser Hermann Huber und Otto Meyer-Amden auch die Maler Willi Baumeister (1889–1955) und Albert Pfister (1884–1978) im Bergdorf. Zu den Besuchern Otto Meyer-Amdens gehörten neben Oskar Schlemmer (1888–1943) auch Johannes Itten (1888–1967) und der wie Baumeister und Schlemmer aus Deutschland stammende, in den Jahren 1913–1914 in der Schweiz lebende Maler Johannes Mohlzahn (1892–1965). Albert Pfister hatte Huber auf die leerstehenden Häuser in Amden aufmerksam gemacht, die zur lebensreformerischen Siedlung Grappenhof gehörten. Die Siedler um den „Propheten“ Josua Klein (1867–1945), der die Höfe 1903 erworben hatte, wollten das Bergdorf zu einem Wallfahrtsort für Gottsucher, Spiritisten und Okkultisten entwickeln.

Willi Baumeister kehrte nach Meinungsverschiedenheiten mit Otto Meyer-Amden schon 1913 nach Stuttgart zurück und besuchte Amden erst wieder in den 1920er-Jahren. Als Baumeister 1933 vom Tod Meyer-Amdens erfuhr, schrieb er in sein Tagebuch: „Ähnlichkeit mit den Selbstbildnissen van Goghs. Kleidung sehr dürftig. Nicht nur sein Vollbart, sondern sein ganzes Gehabe war merkwürdig, auch durch das Schweigen. Es war mir auch rätselhaft, dass er sich in unserem Freundeskreis wohl fühlte, da wir doch im Gegensatz zu seinem Ernst harmlos lustig waren bei den Zusammenkünften in den Ateliers, auf Spaziergängen, im Café, beim Baden. Humor bei jeder Gelegenheit, was ihm sehr gefiel, und in späteren Jahren mitentwerfend von Wortspielen. […] Was nicht oft erreicht wird, ist, die durchaus originale Zone. Er hat sie erreicht. Was er malte, zeichnete, sollte leicht fasslich sein aber auch hintergründig. Das Gedankliche und Formale beziehungsreich bis zur ›Dichte‹.“ Ähnlich positiv äusserte sich Oskar Schlemmer über Otto Meyer-Amden, mit dem er einen intensiven Briefwechsel unterhielt. Schlemmer, der ebenfalls bei Hölzel in Stuttgart studiert hatte, hielt sich im Jahre 1919 erstmals in dem Bergort auf. Weitere Aufenthalte folgten 1922, 1924 und 1927. Schlemmer lehrte in diesen Jahren am Staatlichen Bauhaus in Weimar und ab 1925 in Dessau. Meyer-Amden, der zurückgezogen, aber nicht weltabgewandt in Amden lebte, blieb für den weltzugewandten Bauhausmeister dennoch zeitlebens der wichtigste Gesprächspartner. Am 15. Januar 1936, dem dritten Todestag Meyer-Amdens, schrieb Schlemmer in sein Tagebuch: „Ich habe niemanden mehr, dem ich das Geheimnis im Künstlerischen und Menschlichen darlegen könnte, mit der Gewissheit der richtigen Aufnahme und Antwort dazu.“ Einige Jahre zuvor, im Sommer des Jahres 1927, während eines Aufenthalts im Tessin, versuchte er vergeblich, den Kunstwissenschaftler Sigfried Giedion, den Künstler Moholy-Nagy und den Sammler Eduard von der Heydt zu überzeugen, sich für die Kunst seines Freundes Meyer-Amden einzusetzen. Am 18. August jenes Jahres schrieb Schlemmer nach Amden: „– die Asconeser sind durch die sonderbaren Käuze, Heiligen, Naturapostel und Maler, scheint’s, an alles gewöhnt, so dass nichts und niemand mehr auffällt.“ Und weiter heisst es in diesem Brief: „Ich glaube, dass Sie diesen Zustand zu schätzen verstehen.“ Im folgenden Jahr gab Meyer-Amden sein Atelier im Bergdorf und die freie Künstlerexistenz auf, um in Zürich ein Lehramt anzutreten.

Die Ansiedlung von Otto Meyer und seinen Künstlerfreunden Albert Pfister, Willi Baumeister und Hermann Huber in Amden im Jahr 1912 fiel zeitlich zusammen mit dem Wegzug von Josua Klein und seiner Familie. Klein hatte 1902 zusammen mit Max Nopper in Amden die lebensreformerische Siedlung Grappenhof gegründet, zu deren Besuchern auch die Gründer des Monte Verità zählten. Nopper, ein ehemaliger Hauptmann der württembergischen Armee, bewohnte seit 1901 mit seiner Familie das unterhalb der Dorfzone auf 600 Meter gelegene Heimwesen Grappen. Im Sommer 1902 hielt sich Josua Klein besuchsweise erstmals für drei Wochen in Amden auf. Er war im Vorjahr von einem längeren Aufenthalt in den USA nach Europa zurückgekehrt. Ein privater Gönner stellte Klein für die Siedlung 400’000 Franken zur Verfügung, und dieser betrachtete den Betrag als Honorar für seine angebliche Mitwirkung bei der Heilung der seelisch erkrankten preussischen Kronprinzessin Luise von Toscana. Er erwarb 1903 nach seiner Rückkehr nach Amden Liegenschaften zu hohen Preisen. In den Monaten Juni und Juli schloss er 13 Kaufverträge ab und erwarb für 321’850 Franken zehn Wohnhäuser, 23 Wirtschaftsgebäude, dazu Wiesen, Äcker und Wald. Zu seinem Grundbesitz zählte nun auch die in der Nachbargemeinde Weesen am See gelegene Villa Seewarte. Er baute und reparierte auf Grappen und Umgebung. Im unteren Grappen wurden eine grosse Scheune und als Gemeinschaftshaus der Kolonie der Grappenhof errichtet. Josua Klein war bald der grösste Bodeneigentümer des Dorfes. Er reiste nach Berlin und beauftragte den Jugendstilkünstler Fidus mit dem Bau von Tempeln auf dem Gelände seiner entstehenden Siedlung. Fidus begab sich für einen Augenschein nach Amden und entschloss sich, den Auftrag anzunehmen. Im Herbst 1903 löste er seinen Berliner Haushalt auf und übersiedelte nach Amden. Mit seiner Familie bezog er den Neubau im unteren Grappen. Fidus arbeitete an den Plänen für das ihm von Klein versprochene Atelierhaus und am Glasbild Die Sonnenwanderer, das im Gemeinschaftssaal des Neubaus eingesetzt wurde. An Sakralbauten waren ein Tempel der Erde, ein Tempel der Eisernen Krone und ein Tempel der Tat vorgesehen. Fidus spricht zusammenfassend von „Tempeln des undogmatischen Glaubens“. Im November 1903 ersucht Klein um die Erteilung des Bürgerrechts für ihn und seine Familie. Er kündigt dafür eine Schenkung von 1’000’000 Franken an und verspricht den Bau einer von Fidus entworfenen Marienkapelle. Die Gemeindeversammlung stimmte der Einbürgerung zu, sie wurde jedoch nie rechtskräftig, da Klein die Einkaufssumme nicht aufbringen konnte. Anfang 1904 beantragte er beim Gemeinderat von Amden eine Konzession für den Betrieb einer Elektrischen Bahn von Weesen über Amden nach der Bergstation Speer auf 1950 Metern. Der Kostenvoranschlag führte für die 13,7 Kilometer lange Schmalspurbahn Gesamtkosten für Schienennetz, Tunnel, Installationen, Gebäude, Rollmaterial, Mobiliar und Wasserkraftwerk von rund fünf Millionen Franken auf. Fragen der Wirtschaftlichkeit wurden vernachlässigt, da Klein die Bergbahn ausdrücklich als gemeinnützliches, von ihm zu finanzierendes Werk verstand. Die finanzielle Situation der Kolonie verschlechterte sich allerdings zusehends. Fidus und die völkische Schriftstellerin Gertrud Prellwitz, eine Anhängerin von Klein der ersten Stunde, verlassen den Grappenhof im Streit. 1905 musste Josua Klein einen Grossteil seines Amdener Grundbesitzes verkaufen, da die Mittel aufgebraucht waren und neue Förderer versprochene Unterstützung zurückhielten. Im Frühjahr 1906 war der Amdener Siedlungsversuch gescheitert. Im März verkaufte Josua Klein auch die Villa Seewarte in Weesen, die als Künstlerhaus hätte betrieben werden sollen. Max Nopper blieb mit seiner Familie und einigen Anhängern in Amden. Josua Klein übersiedelte mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten.

Zu den wenigen authentischen Berichten über den Grappenhof gehört ein Zeitungsartikel von Irma Goeringer aus Zürich, der 1904 in der Frankfurter Zeitung und in einer gekürzten Fassung auch im St. Galler Tagblatt erschien. Im selben Jahr veröffentlichte das Neue Wiener Tagblatt einen Artikel von Max Lesser, der die Kolonie im Unterschied zu Goeringer aber nicht aus eigener Anschauung kannte. Ihr durchwegs positiver, stellenweise sogar enthusiastischer Bericht über die Person Josua Kleins und die Ziele seiner Kolonie in Amden ist darüberhinaus der einzige überhaupt, der nicht rückblickend verfasst wurde, sondern unter dem Eindruck der Begegnung mit dem Idealisten geschrieben wurde und anschliessend sofort in Druck ging. Irma Goeringer schildert ihn als einen „Mann, der kraft seines Verstandes das Wissen seines Jahrhunderts nicht nur in sich aufgenommen, sondern bis zu einem gewissen Grade verarbeitet hat, dem eine grosse Güte nicht Willens-, sondern Naturnotwendigkeit ist und der ausserdem mit straffer Energie auf sein Ziel losgeht“. Ihr Urteil bildete sie sich im Anschluss an mehrere Gespräche, die sie mit Anhängern Josua Kleins, diesem selbst, aber auch aussenstehenden, im Dorf Amden ansässigen Personen geführt hatte. „Wenn ich recht verstanden habe“, fasst die Autorin die Ausführungen Kleins zusammen, „so ist der Lebenszweck Josua Kleins und aller, die zu ihm halten: erstens: sich selbst erkennen, das heisst also, sich selbst erforschen, bis man weiss, was die innerlichste Notwendigkeit der eigenen Individualität ist; die Gesetze aller Kulturen, aller Erkenntnis in sich verarbeiten, um herauszufinden, nach welchen Gesetzen man selbst zu leben und zu handeln hat, und dann seine Existenz danach einrichten, selbst wenn man deshalb die bisherigen Daseinsbedingungen und Gewohnheiten über den Haufen werfen muss.“ Wer sich selbst kenne, habe zweitens die Pflicht, anderen zu helfen. Kranke oder mit sich und ihrem Schicksal hadernde Menschen seien deshalb zur Kur auf dem Grappenhof willkommen. Eine eigentliche Lehre lasse sich nicht feststellen, meint Goeringer, ausser vielleicht der, dass alle ihre eigene Individualität kennenlernen sollen. Qualität und Eigenart jeder menschlichen Leistung bemesse sich daran, ob sie gerne erfüllt worden und wie notwendig sie gewesen sei. Daraus ergäben sich jedoch auch Konsequenzen für das Zusammenleben der Menschen: „Die grosse Familie der Gleichgesinnten in Amden hat ausser einer Hilfe in der Landwirtschaft und einer Helferin in der Küche keine Dienstboten. Jeder der Anwesenden findet irgend eine Beschäftigung im Haushalt, die er gerne verrichtet. Die wird ihm übertragen, und er führt sie so lange aus, bis er der Abwechslung wegen einmal mit einer andern tauscht. So entpuppte sich der Sohn eines deutschen Oberstabsarztes als Koch, ein junger Künstler als geschicktes Zimmermädchen, Hauptmann Nopper als tüchtiger Landwirt und kluger Leiter der praktischen Angelegenheiten.“ Klein gedenke, erfahren wir weiter und nur in diesem Bericht, namhafte Künstler für die Ausschmückung der Tempel nach Amden einzuladen und habe seine Villa am See „neu eingerichtet für Maler, Bildhauer und Dichter, die einmal ganz ausspannen möchten oder sich in der Einsamkeit künstlerisch vertiefen wollen und dabei Komfort und Luxus nicht entbehren mögen. Von solchen Pensionären will Josua Klein jedoch keine pekuniäre Vergütung annehmen. Die Gegenleistung soll praktisch oder ideal sein, aber jedenfalls nicht in Silber oder Gold bestehen.“

Max Lesser aus Berlin beschäftigt sich in seinem Zeitungsartikel nur am Rande mit der Siedlung, ihn interessiert vor allem Kleins Persönlichkeit. Die eigentliche Botschaft Kleins bleibe im Dunkeln: „Gar so spiritualistisch, gar so jenseitig erhaben scheint er sich doch nicht zu fühlen, denn er sagt von sich (oder seine Dolmetscher sagen es nach seinen tiefsinnigen Verworrenheiten von ihm), dass er zwar der neuerstandene Christus sei, doch aber wieder ein anderer, denn er habe, weil vom Weibe geboren, auch den Satan in sich. Das Land, das Josua Klein zusammengekauft hat, liegt brach, die Gemeinde hat gerade genug mit der sozusagen konsumierenden Wirtschaftsführung zu tun.“

Irma Goeringer und Max Lesser bewerten die Siedlung Grappenhof auf Grundlage völlig unterschiedlicher Kriterien. Während es für die Zürcherin offenbar selbstverständlich war, dass ein Experiment wie dasjenige von Amden in erster Linie ideelle Zielsetzungen verfolgt und deshalb immer auf Unterstützung angewiesen bleiben wird, vertreten Lesser, aber auch der deutsche Bodenreformer Damaschke und mit ihm die Pragmatiker innerhalb der Lebensreformbewegung, die genau gegenteilige Ansicht: Da das eigentliche Ziel die Gesellschaftsreform bleibe und diese nur in der beispielhaften Selbstreform wurzeln könne, verdienten ausschliesslich Projekte, die zumindest selbsttragend seien, Anerkennung durch die Bewegung. In jedem Fall lassen bislang bekannten Fakten zur Geschichte des Grappenhofs keinen Zweifel daran, dass Josua Klein nie daran dachte, seine Siedlung auf eine betriebswirtschaftlich gesunde Basis zu stellen und entsprechend zu bewirtschaften.

Folgen wir Adolf Damaschke, so zeigte sich die anfängliche Seriosität des Siedlungsversuchs in Amden an der Mitwirkung Paul Schirrmeisters, der zuvor drei Jahre lang erfolgreich als Geschäftsführer der Vegetarischen Obstbau-Kolonie Eden bei Oranienburg tätig gewesen war. Er kannte Schirrmeister und Fidus aus Berlin, wo alle drei 1902 im Ausschuss der Deutschen Gartenstadt-Gesellschaft mitgearbeitet hatten. Schirrmeister überredete Fidus 1903, die Berufung zum Tempelbauer anzunehmen und nach Amden in die Kolonie von Josua Klein überzusiedeln. Damaschke deutet Schirrmeisters überstürzte Abreise aus Amden, vermutlich am 3. Juli 1904, als ein deutliches Anzeichen für das bevorstehende Scheitern des Experiments. In Oranienburg hatte Paul Schirrmeister mit Menschen zu tun, die sich für Selbstversorgung mit Gemüse und Früchten auf eigenem Boden und ein genügsames Leben auf dem Lande im Kreise ihrer Kleinfamilien entschieden hatten. Tagsüber gingen die Genossenschafter einem Beruf nach und arbeiteten abends in ihren Gärten. Entscheidungen, die alle Familien betrafen, wurden von den Mitgliedern gemeinsam getroffen. In Amden traf er auf Menschen, die in Häusern zusammenleben, die ihnen nicht gehören und von fruchtbarem Land umgeben waren, das niemand fachmännisch bewirtschaftete. Hier beschäftigte sich jeder mit Aufgaben, die ihm gerade gefielen, lediglich den langwierigen Unterweisungen durch Josua Klein wohnten alle gemeinsam bei. Ziele eines jeden menschlichen Lebens sollten Selbstkenntnis und Selbstentfaltung sein, hiess es auf dem Grappenhof, doch alle die Gemeinschaft betreffenden Entscheide fällten ein ehemaliger Offizier, der sich inzwischen als Landwirt ausgab, und ein Gutsherrensohn mit entsprechendem Habitus, der christologische und therapeutische Ambitionen hatte. Max Nopper schreibt rückblickend, die einen seien von dem angeblich zur freien Nutzung bereitgestellten Reichtum angezogen worden, andere seien gekommen, weil sie in Amden „Das Reich Gottes auf Erden“ zu finden hofften. Er selbst und mit ihm der Kern der Siedlung hätte sich bemüht, all diesen Menschen klarzumachen, dass der einzige legitime Grund, auf dem Grappenhof zu bleiben, derjenige sei, sich auf jenen Weg zu begeben, den Christus in Jesus gegangen sei: ein schmaler und steiler, dornenvoller und beschwerlicher Weg mit zahllosen Prüfungen. Zu diesem Selbstbild passt, dass Fidus, der als Architekt nach Amden gekommen war und dort in Stein bauen wollte, in seinen Erinnerungen an den Aufenthalt dort von der zunehmend vehement erhobenen Forderung Kleins nach der Arbeit am inneren Tempel spricht. Nopper behauptete nachträglich, die Schmarotzer, Betrüger und Verräter unter den vielen Besuchern seien auf der Siedlung erwartet worden und sogar willkommen gewesen, da der innere Kreis der Kolonie durch sie zusätzlichen Proben und Versuchungen ausgesetzt worden sei, die ihm und seinen Freunden erst wirklich ermöglicht hätten, ihren Willen zur Vollkommenheit öffentlich zu bezeugen: Wir treffen hier auf die heilsgeschichtliche Vorstellung, derzufolge schon Jesus die Menschheit nicht ohne Judas von ihrer Schuld erlöst hätte. Das Scheitern, sagt uns Max Nopper, war eingeplant.

Die geschilderten Ereignisse aus dem Kreis von Josua Klein sind nicht nur beispielhaft für den Eklektizismus an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, sondern auch für den in den industrialisierten Ländern Europas schon zu jener Zeit einsetzenden Individuationssprozess, dessen weitere Entfaltung bis in die Gegenwart reicht. In ihrer Vielfalt nämlich zeugen die im 20. Jahrhundert formulierten Utopien, die ihrer Verwirklichung zeitweise sehr nahe kamen, weit mehr vom Zerfall als von der Neuformulierung der grossen Ideen und gesamtgesellschaftlichen Entwürfe. Im Falle der Lebensreform ist dieser Widerspruch besonders auffällig, glaubten doch deren Vertreter, dass eine bessere, altruistische Welt nur durch die Einsicht der Menschen in die Notwendigkeit der Selbstreform erreicht werden könne. Josua Klein empfand das Scheitern seines öffentlichen Wirkens denn auch nach der Einweisung in eine Wiener psychiatrische Klinik 1939 – damals die grösste denkbare soziale Niederlage –, nicht als ein persönliches Versagen. Hermann Huber hatte im Jahr, bevor er nach Amden gezogen war, dem Beuroner Mönch Pater Willibrord Verkade in Jerusalem bei der Ausführung von Wandmalereien im Kapitelsaal der Benediktinerabtei der Dormition vom Berge Zion geholfen. Der holländische Malermönch Jan Verkade, ein enger Freund Paul Gauguins und Mitglied der Nabis, war 1894 in das Kloster Beuron eingetreten, ein Schritt – der Zivilisationsflucht seines Freundes Gauguin vergleichbar –, von dem er sich neue Impulse für seine Malerei erhoffte. Im Juni 1910 kehrte Hermann Huber aus Jerusalem in die Schweiz zurück. Das gemeinsame Jahr mit seinem Freund Otto Meyer 1912 in Amden stand noch ganz unter dem Eindruck der Erlebnisse mit Pater Willibrord. Die Kunst von Otto Meyer-Amden gründet wie jene des zehn Jahre vor ihm in Amden lebenden Fidus im Symbolismus. Gemeinsam ist den beiden Künstlern die Verklärung von Jugend, Sonne und Natur, die bei Fidus ihren formelhaften Ausdruck im Lichtgebet fand, das zu einem Kultbild der Lebensreformbewegung wurde, und bei Otto Meyer-Amden in den Zeichnungen nackter Knaben. Der Unterschied liegt in der künstlerischen Qualität: Während Fidus an eigentlichen Bildprogrammen arbeitete, blieb Otto Meyer-Amden zeitlebens ein von der Bildform begeisterter Experimentator. Amden war nun ein Ort des künstlerischen Experiments und nicht mehr wie zur Zeit der Siedlung ein Ort des sozialen Aufbruchs. Die Knabendarstellungen von Otto Meyer-Amden sind dafür beispielhaft. Man findet Kinderbildnisse zwar auch im Schaffen seiner Freunde Paul Bodmer, Hermann Huber und insbesondere Eugen Zeller, allerdings handelt es sich dort vor allem um ein Motiv der Frühwerke. Otto Meyer-Amden dagegen arbeitete in allen Werkphasen an Knaben- und Mädchenporträts. An Huber schreibt er 1918: „Ich habe, ausser von greisen Männern u. Frauen, am meisten von Knaben gelernt. Dich lernte ich fast als Knaben kennen. Ich hing an Deinem Unbewussten, mein Wunsch war, während Du die schöne Art der Unbewusstheit bewahrest, Dich in manchem, was ich wusste für Dich, bewusst zu machen, sanft.“ Die Knabenbildnisse sind, wie die Meditationsblätter, welche unmittelbar nach der Ansiedlung in Amden entstanden, Studien zum Geistigen in der Kunst. Der Kunsthistoriker Reinhold Hohl stellt insofern sicherlich zu recht fest, im Kinde zeige sich für Otto Meyer-Amden „die mystische, die ›wahre‹ Anschauung der Existenz, bevor sie sich im biologischen Leib (und im Zwang, männlich oder weiblich zu sein und nicht beides) verkörpert: Originalnatur als Engel“.

  1. Kai Buchholz et al. (Hgg), Die Lebensreform: Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900. 2 Bände, Ausst.-Kat., Institut Mathildenhöhe, Darmstadt 2001, Band 2, pp. 99–96.

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