Rémy Zaugg untersuchte in seiner Malerei Fragen der Wahrnehmung und befasste sich dabei insbesondere mit der Wahrnehmbarkeit von Kunst und deren Abhängigkeit von der Präsentationsform.1 Es war ein zentrales Thema seiner Künstlergeneration, nachdem die kuratierte Wechselausstellung als Format der Vermittlung von zeitgenössischer Kunst wichtiger geworden war als die Kunstkritik.2 Zaugg widmete sich aber nicht nur in seiner malerischen Praxis der visuellen Wahrnehmung, er arbeitete und publizierte auch zeitlebens zu Fragen der Ästhetik. 1982 wurde er von Rudi Fuchs zur documenta 7 eingeladen, und Heiny Widmer, der damalige Konservator des Aargauer Kunsthauses in Aarau, bereitete mit Zaugg die Ausstellung Le Singe Peintre vor. Der Titel spielt auf ein beliebtes Sujet der französischen Malerei des 18. Jahrhunderts an, „der Affe als Maler“. Damit richteten sich Künstler wie Jean-Siméon Chardin (1699–1779), auf den sich Zaugg bezog, gegen die akademische Malerei-Ausbildung ihrer Zeit, die das Kopieren und die technische Fähigkeit zur Nachahmung („Mimesis“) ins Zentrum stellte. Im Katalog erläutert Zaugg seine künstlerische Position, und zwar im Verhältnis zur US-amerikanischen Minimal Art, die damals gerade im Begriff war, sich international durchzusetzen. Er interessiere sich im Unterschied zu Donald Judd, der sich mit der „Sichtbarkeit der Dinge“ befasse,3 für den „Begriff der Wahrnehmung“. Der Begriff sei, so Zaugg, „mit jenem der Wahrnehmbarkeit verbunden und dadurch mit dem wahrnehmenden Subjekt, das sozusagen im Angesicht des Werks das Werk schaffen muss und das also in dem Sinn, in dem die Poesie ein Machen ist, ein Poet sein muss.“4 Voraussetzung für die Sichtbarkeit des Werks sei, dass es sich dabei um einen dreidimensionalen Gegenstand handle, die physische Präsenz also absolut zentral sei, „was bei einem Bild von üblicher Dicke, das an einer Wand hängt, nicht der Fall ist“.5 Die Auseinandersetzung Zauggs, eines Künstlers, der damals vor allem mit Malerei in Verbindung gebracht wurde, mit dem Objektkünstler Judd wurde 1982 unter dem Titel Die List der Unschuld, das Wahrnehmen einer Skulptur publiziert.6

Für dieses Buch machte der mit Zaugg befreundete und fast gleichaltrige Berner Fotograf und Künstler Balthasar Burkhard (1944–2010) Aufnahmen von der Rodin-Skulptur im Hof des Kunstmuseums Basel, indem er das Werk umkreiste. Die sechs Bürger von Calais, von Rodin in der als Denkmal konzipierten Arbeit als bewegte Gruppe aufgefasst, werden sechs Kuben von Judd aus der Sammlung des Kunstmuseums gegenübergestellt, die Zaugg im Buch bespricht. Ebenfalls 1982 hatte Zaugg mit den Berner Architekten Atelier 5 am Erweiterungsbau für das Kunstmuseum Bern gearbeitet7 und daraus 1983 seine Schrift Für das Kunstwerk, Kunstmuseum Bern entwickelt. Auch an diesem Projekt war als Fotograf beteiligt. Zum Berner Freundeskreis von Burkhard gehörten in jener Zeit neben den Architekten von Atelier 5 und vielen Künstlerinnen und Künstlern auch der Ausstellungsmacher Harald Szeemann (1933–2005), der Burkhard schon in den 1960er-Jahren mit der Dokumentation von Ausstellungen in der Kunsthalle Bern beauftragt hatte. Die Aufnahmen von Szeemanns legendärer Ausstellung When attitudes become form (1969) waren entscheidend für die bis heute anhaltende Wirkung, welche diese Ausstellung entfalten konnte. Als Balthasar Burkhard 1983 in der Kunsthalle Basel auf Einladung von Jean-Christophe Ammann (1939–2015) eine Einzelausstellung zeigen konnte, schrieb Zaugg den Katalogtext.8 Burkhard und Ammann kannten sich ebenfalls aus Bern. Ammann arbeitete als Assistent von Szeemann an der Kunsthalle. 1970, Ammann leitete nun das Kunstmuseum Luzern, war Burkhard an der Ausstellung Visualisierte Denkprozesse mit von Markus Raetz und ihm gemeinsam geschaffenen Fotoleinwänden beteiligt. Hier begnügte sich Zaugg nicht mit der Rolle des Katalogautors, er eignete sich das Ausstellungsprojekt seines Künstlerfreundes an.9 Er konzipierte eine Publikation, in der er als Künstler ausführlich darlegt, was eine Kunstausstellung ist, und erörtert anhand der ausgestellten Werke, die als Ausstellung den menschlichen Körper thematisieren, seinen eigenen Prozess der Wahrnehmung dieser Fotografien. Mit dieser zusammen mit Zaugg entwickelten Ausstellung begann die Wirkungsgeschichte Burkhards als Künstler, der seine Fotografien fortan in schweren Stahlrahmen und hinter Glas in präzisen Inszenierungen zeigte. Auch Zauggs Interesse am Zusammenspiel von Werk, Präsentationsform und Wahrnehmung hielt in den folgenden Jahren an und wirkte sich auf die eigene Praxis und seine Auffassung von der Aufgabe des Künstlers aus.

1985 kuratierte Szeemann im Kunsthaus Zürich die Ausstellung Spuren, Skulpturen und Monumente ihrer präzisen Reise. Mit dieser und weiteren Skulpturenausstellungen in Wien (1986), Düsseldorf (1986), Berlin (1988) und Hamburg (1989) reagierte Szeemann auf die damalige Dominanz der Malerei im Ausstellungsbetrieb. In Zürich wollte er Skulpturen zeigen, „die Stille thematisieren, die in sich selber ruhen und leicht übersehen werden“.10  Die Schau umfasste Arbeiten von Louise Bourgeois, Constantin Brâncuși, James Lee Byars, Tony Cragg, Joel Fisher, Alberto Giacometti, Wolfgang Laib, Marisa Merz, Royden Rabinowitch, Medardo Rosso, Ulrich Rückriem, Michael Rutkowsky, Richard Tuttle, Cy Twombly, Thomas Virnich und Franz West. Szeemann spricht von der Ausstellung als einem „Poem im Raum“11 und beschreibt sie im Saaltext als „Symposium der Stille“: „Der Machtanspruch der Kunst tritt hier im Gewande der Fragilität auf, ‹stark wie das Echo›, mit Zweifel am Monumentalen.“12 Zu erleben waren die Arbeiten in einer Ausstellungsarchitektur, die Szeemann 1983 im selben Haus für Der Hang zum Gesamtkunstwerk: Europäische Utopien seit 1800 entworfen und verwendet hatte. Er orientierte sich dabei am Grundriss einer Basilika und nahm somit Bezug auf einen sakralen Raum. Die Inszenierung der Skulpturen darin folgte dagegen dem Aufbau eines klassischen Landschaftsbildes. 1986 veröffentlichte die Kunstzeitschrift Parkett eine Kritik dieser Ausstellung von Rémy Zaugg. Die Besprechung erschien in Form eines Interviews mit dem Kunstkritiker Siegmar Gassert (1942–2009)13. Zaugg kritisiert die sich aus der von Szeemann entworfenen Inszenierung der Werke ergebende Besucherführung, weil sie dem zeitgenössischen Kunstverständnis nicht gerecht werde und hinter den aktuellen Entwicklungsstand der Kunstpräsentation zurückfalle. Die Ausstellung wirke, als ob „der Schöpfer dieses Landschaftsbildes den Betrachter hat führen wollen vom Urbanen, Allgemeinen, Profanen, Alltäglichen über das Mittelmässige und Mittelständische bis hin zum Besonderen und Exklusiven, dem weltlich Höheren am Ende der Allee: also genau bis zum Fluchtpunkt der Berührung mit dem göttlichen Jenseits.“14 Auch auf die zweite von Szeemann bewusst evozierte Raumsituation, eine Kathedrale mit Atrium, Hauptschiff, Hochaltar und Seitenkapellen, kommen Zaugg und Gassert in dem erwähnten Parkett-Beitrag zu sprechen. Zaugg erwähnt hier besonders die Apsiden, die durch ihren dreieckigen Grundriss eine distanzierte, rein optische Beziehung zwischen Betrachter und Kunstwerk erzwingen würden. Er bewertet die Ausstellung als restaurativ. „Ein Ausstellen nach Modellen vergangener Weltordnungen kann eben nur die Vergangenheit demonstrieren, auch wenn dafür Kunstwerke der Gegenwart herhalten müssen. Das ist der bekannte Kunstgriff des restaurativen Argumentierens […] eine reaktionäre Rhetorik.“15 Zwar erscheint ihm die Künstlerauswahl überzeugend, denn das Poetische, das Sublime, das Gefährdete habe die Kunst im 20. Jahrhundert herausgefordert, allerdings zeige Szeemann Werke, welche die sentimentale Form der Präsentation begünstigten, weil sie selbst schon der geläufigen, kitschig überhöhten Form von Poesie und Zärtlichkeit entsprächen. Zaugg schliesst seine Lektüre dieser Ausstellung mit einem Plädoyer für einen bewussten Umgang mit der Geschichte auch im Ausstellungswesen, damit in einer Zeit der Desorientierung Zukunft und Vergangenheit unverwechselbar blieben.

Diese Kritik an der Zürcher Ausstellung begegnete dem erfolgreichen, in den 1980er-Jahren aber auch sehr umstrittenen Ausstellungsmacher auf Augenhöhe. Zaugg problematisierte nicht etwa, wie es von einem Künstler damals durchaus noch zu erwarten gewesen wäre, dass es sich bei der Ausstellung Szeemanns um eine Inszenierung handelte, sondern er befragte lediglich die Form dieser Inszenierung. Dieser Blickwinkel hing mit seinem eigenen Interesse am Medium der Ausstellung zusammen. Zeitgleich mit den Ausstellungsmachern kamen in den späten 1960er-Jahren mit der Conceptual Art neue Werkformen auf, etwa die Installationskunst, sowie die kritische Befragung von Autorschaft durch die Autorinnen und Autoren selbst. Der Ausstellungsmacher, so führt Christiane Rekade aus, trat „an die Stelle des Künstlers als derjenige, der unter seinem Namen die Kunstwerke nach seinen Kriterien zusammenfügte und präsentierte“.16  Charismatische Persönlichkeiten wie Rudi Fuchs, Pontus Hulten, Germano Celant, Jan Hoet, Kasper König oder in der Schweiz Jean-Christophe Ammann, Urs Raussmüller, Johannes Gachnang und Harald Szeemann prägten in Europa im ausgehenden 20. Jahrhundert die Art und Weise, wie zeitgenössische Kunst im Museum erscheinen sollte. Kuratorinnen in bedeutenden Positionen oder mit grosser öffentlicher Wirksamkeit fanden sich damals vor allem im US-amerikanischen Kontext, ich denke hier vor allem an Lucy Lippard, aber auch an Marcia Tucker oder Alanna Heiss. In diesem geschichtlichen Kontext, einer Zeit des Zeigens, begann Zaugg als junger Künstler über die Frage nachzudenken, wie und wo Kunst wahrgenommen werden sollte. 1987 publizierte er die programmatische Schrift Das Kunstmuseum, das ich mir erträume / oder / Der Ort des Werkes und des Menschen.17 1991 wurde er selber als Ausstellungsmacher tätig, allerdings ohne sich dabei als Kurator zu verstehen. Im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris richtete er eine Retrospektive Alberto Giacomettis ein. Im selben Jahr publizierte er Gespräche mit Ammann, der Zaugg 1988 in der Kunsthalle Basel eine Einzelausstellung ausgerichtet hatte, konfrontierte im Kunstmuseum Luzern eigene Arbeiten mit Werken aus der Sammlung und hielt im französischen Saint-Étienne einen Vortrag über das Spannungsverhältnis von Wechsel- und Dauerausstellungen in Museen.

Rémy Zaugg wollte das Kunstmuseen von einer Institution, die sammelt und archiviert, in einen „Ort des Werkes und des Menschen“ verwandeln. Das Kunstwerk sollte nicht mehr als geschichtliches Zeugnis vermittelt werden, sondern als „autonomes Werk“, das, unabhängig davon, wann es geschaffen wurde, „heute auf den Menschen von heute und ausschließlich auf den Menschen von heute“ wirke.18 An diesem Ort ist das Werk „nicht außer Gebrauch, es drückt sich aus. Und indem es sich ausdrückt, ist es dem Menschen nützlich“.19 In diesem Punkt waren sich Zaugg und Szeemann einig. Ihre Auffassung von der Aufgabe des Organisators einer Ausstellung hätte dennoch nicht unterschiedlicher sein können. Szeemann sprach sich für die bewusst subjektive Auswahl, Präsentation und Interpretation von Kunst durch den Ausstellungsmacher aus und war deshalb ein Ausstellungsautor. Zaugg, der als Künstler Ausstellungen einrichtete, bestand dagegen darauf, dass der Ausstellungsmacher als Intermediär unsichtbar bleibe. Werk und Subjekt sollten durch den „Akt des Ausstellens“ einander unvermittelt begegnen können. Die einzige Form von Interpretation, die Zaugg zulässt, ist eine nicht „manipulierende“.20 Er wollte die Autorschaft des Kurators unkenntlich machen. Die Kritik an der Ausstellung Spuren, Skulpturen, Monumente ihrer präzisen Reise bezog sich deshalb auf die durch den Ausstellungsmacher bestimmte Besucherführung, nicht auf die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler oder das Thema der Ausstellung. 1991, im Katalog der Retrospektive von Alberto Giacometti, erläuterte Zaugg nicht nur seine Ausstellungsprinzipien, sondern machte auch unmissverständlich klar, dass der Ausstellungsmacher vollständig hinter das Werk zurückzutreten habe: „Die Kunst, das autonome Werk und das autonome Subjekt auszustellen, ist also nur eine Kunst, wenn sie versteht, sich selbst zum Verschwinden zu bringen.“21

Ausstellungen der Malerei von Rémy Zaugg waren vom Künstler selbst choreografierte Installationen – hier lag der Berührungspunkt mit Szeemann. Doch während dieser Werke kombinierte und die Ausstellung als Einheit verstand, lag das Augenmerk Zauggs auf der Analyse der Wahrnehmung der Werke. Zaugg war kein Ausstellungsmacher. Er war als Künstler an Wahrnehmungsfragen interessiert, die er mit Mitteln der Malerei und der Installation untersuchte. 1988 resümierte der Schriftsteller und Publizist Felix Philipp Ingold die Zielsetzungen des Künstlers wie folgt: „Der Kunstschaffende […] schafft Kunst nicht als Werk, das Werk nicht als Kunst; er schafft vielmehr die Voraussetzungen dafür, Wahrnehmung als Kunst zu praktizieren, er gibt dem Betrachter, der an der Kunst in dem Masse teilhat, wie er sie, als ein bewegliches Wahrnehmungsdatum, hervorbringt, zu sehen und zu spüren, was er, durch das von ihm initiierte Werden des Werks, selbst geworden ist, und er zeigt ihm damit das ‹Warum und das Wie› dessen, was er heute ist.“22 Ein geeigneter Ausstellungsort und entsprechend gestaltete Räumlichkeiten waren nach Auffassung des Künstlers Voraussetzungen, um die „Wahrnehmung als Kunst“ zu befördern. Hierin liegt einer der Gründe, weshalb Zaugg sich seit den frühen 1980er-Jahren als Künstler vertieft mit Fragen der Architektur befasste und eine enge und freundschaftliche Verbindung mit den Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron einging. Die Kritik Zauggs an Szeemann bezog sich wie gesagt weniger auf die Künstlerauswahl als auf die Qualität der ausgestellten Werke und vor allem deren, wie er fand, unzeitgemässe Inszenierung als Landschaftsbild. Pathos und Poesie kamen in Ausstellungen von Szeemann oft miteinander in Berührung. Auch bei Spuren, Skulpturen, Monumente ihrer präzisen Reise war dies der Fall und teilte sich unmittelbar mit. Nicht nur, dass Szeemann die Ausstellungsarchitektur von Der Hang zum Gesamtkunstwerk übernahm und darin, wie Zaugg bemerkte, einer sakralen Typologie folgte, zudem überhöhte er die Werke, indem er die fragilen Objekte möglichst sockellos und ungeschützt ausstellte und szenografisch geschickt mit der Leere, dem für die Ausstellung nicht genutzten Raum umging. In seiner Giacometti-Ausstellung sollte auch Zaugg den Leerraum aktivieren, allerdings aus anderen, in Giacomettis Werken selbst zu findenden Gründen: Zaugg machte die Miniaturen zum Zentrum seiner Auseinandersetzung mit dem Künstler und stellte die wenige Zentimeter grossen Skulpturen in monumentalen weissen Wandkojen aus.

Die weisse Wand, die mit Gustav Klimts Auftritt auf der Biennale in Venedig 1910 für ein internationales Publikum zum Thema wurde, und der weisse Ausstellungsraum standen bis in die 1960er-Jahre im Einklang mit der architektonischen und bildkünstlerischen Entwicklung der Moderne.23 Der „White Cube“ war gegen „die statische Museumspraxis“, vor allem die ständigen kunsthistorischen Sammlungen gerichtet und trug dazu bei, einen gattungsspezifischen, die Bildautonomie betonenden Kunstbegriff zu etablieren. In der Nachkriegskunst haben die Künstlerinnen und Künstler versucht, den weissen Ausstellungsraum zu verlassen und neue Ausstellungsformate zu testen. Die Position von Rémy Zaugg in dieser Frage war zunächst nicht eindeutig. Im Fall der Erweiterung des Kunstmuseums Bern durch das Atelier 5 im Jahr 1982 sprach er sich für einen hellgrauen Wandanstrich aus, zudem sollten die Gemälde aus der Sammlung ausgerahmt ausgestellt werden, um der Malerei selbst die volle Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.24 Wenig später kehrte auch Zaugg in seinen Projekten zur weissen Ausstellungswand zurück, die sich als Standard moderner Kunstpräsentation durchgesetzt hatte. 1991 bringt er diese mit der Idee des autonomen Kunstwerks und der dienenden Funktion der Architektur in Verbindung: „Erlaubt die weiße Farbe der Wand in ursprünglicher Unberührtheit zu erscheinen, so bringt sie auch das Verschwommene, das Halbdunkel oder die Unbestimmtheit des Ortes zum Verschwinden und vergegenwärtigt die Architektur bis in die letzten Winkel: Das Weiß entblößt und exponiert den architektonischen Ort, der Wahrnehmenden und Werk zueinander in Beziehung setzt.“25 Zaugg war im Unterschied zu den Kritikern des „White Cube“ überzeugt, dass das autonome Kunstwerk spezifische Bedingungen für seine Wahrnehmung benötige. Was ihn interessiere, so Zaugg 1983 im Katalog der Ausstellung von Balthasar Burkhard in der Kunsthalle Basel, sei „die von einem Künstler, der seine eigenen Werke zeigt, verwirklichte Präsentation im Rahmen einer Institution, die dazu berufen ist, Kunstausstellungen zu organisieren“.26 Das Ausstellen versteht der Künstler Zaugg als eine Handlung, welche Kunstwerke der Wahrnehmung durch das Auge optimal zugänglich machen.

In späteren Jahren wollte er diese Position revidieren. Hatte das Kunstwerk selbst in seiner Präsenz als Artefakt der materiellen Kultur viele Jahre lang im Zentrum seines Denkens gestanden, erkannte er nun im Austausch mit seinen Architektenfreunden, dass es sich lohnen könnte, den Kunstraum sozusagen in den öffentlichen urbanen Raum auszuweiten und somit die „Suche nach dem Menschen“ im Stadtraum fortzusetzen.27 Die Arbeit an einer für die Wahrnehmung von Kunst geeigneten Architektur und die Beschäftigung mit dem Medium der Ausstellung waren von der Überzeugung getragen, dass vor allem Kunstwerke zu jenen Mitteln gehören, „mit und in denen der Mensch sich offenbaren, Gestalt annehmen, vielleicht in Erscheinung treten darf“.28 Der Kunsthistoriker Jean-Christophe Royoux stellte Zaugg 1993 die Frage: „Sind für Sie die Ausstellungen, die Sie realisieren, Kunstwerke?“, und erhielt zur Antwort: „Ich mache persönlich keinen Unterschied zwischen dem Projekt, das bezweckt, das Werk eines Künstlers auszustellen, und der Tätigkeit, die darin besteht, ein Bild zu produzieren. Ich stelle keinerlei Hierarchie zwischen diesen beiden Bereichen auf. Cézanne und Giacometti verhielten sich wie Romantiker. Ihre Schwierigkeit, die Wirklichkeit zu erfassen, erschien ihnen als Scheitern, als etwas Dramatisches. Ich empfinde das dagegen eher als etwas, das Freude macht; die Wirklichkeit zu erfassen ist eine Aufgabe, die kein Ende kennt. Von daher erklären sich vielleicht die wachsende Bedeutung der besonderen Ausdrucksweise der Ausstellung und der Umstand, dass das autonome Bild für mich in den Hintergrund gerückt ist. Ebenso finde ich die Architektur wenig interessant; mich begeistern die Beziehungen zwischen den Gebäuden, der Städtebau, zu dem meiner Meinung nach die Ausstellung ein Äquivalent bildet. Nachdem ich das Meisterwerk in Frage gestellt hatte, das zu einer Anhäufung von Gegenständen im Atelier geführt hatte, plante ich Ausstellungen dieser Gegenstände, und die Ausstellungen führten wiederum zu einer neuen Lernerfahrung, jener der Stadt.“29

Die Erneuerung der Kunst durch die Conceptual Art der 1960er-Jahre führte nicht nur zu einem neuartigen Begriff dessen, was seither als Kunst bezeichnet wird, sondern hatte Auswirkungen auf den Begriff der Ausstellung und die Präsentationsformen, welche die nachfolgenden Generationen von Künstlern und Kuratoren entwickelten, sowie die möglichen Aufgaben eines Künstlers in der Gesellschaft. Heute ist die Ausstellung nur mehr einer von verschiedenen Handlungsräumen für Künstlerinnen und Künstler. Der Kunstbegriff hat sich, wie Christiane Rekade rückblickend auf die 1990er-Jahre schon 2001 schreibt, „in Richtung Kunstvermittlung erweitert“.30  An den Museen arbeiten nun auch Kuratorinnen und Kuratoren, deren Arbeit auf diskursive Programmformate ausgerichtet ist, die das Publikum einbeziehen und in denen Ausstellungen von untergeordneter Bedeutung sind, Künstlerinnen und Künstler aber eine immer wichtigere Rolle spielen.


Erstveröffentlichung in: Rémy Zaugg. Der besondere Ort / The Particular Place, hg. von/ed. by Eva Schmidt, Köln 2022, S. 32–41.

  1. Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine überarbeitete und substanziell erweiterte Fassung des Rémy Zaugg gewidmeten Kapitels in Roman Kurzmeyer, Zeit des Zeigens. Harald Szeemann, Ausstellungsmacher, Zürich/Berlin/Boston 2019, S. 121–137.
  2. Vgl. Rémy Zaugg, „The artist who exhibits his own work“, in: Evelyn Beer (Hg.), L’Exposition imaginaire. The art of exhibiting in the eighties, s'Gravenhage 1989, S. 362–385; dabei handelt es sich um eine gekürzte Fassung eines Beitrags für den Katalog der von Zaugg organisierten Ausstellung Balthasar Burkhard in der Kunsthalle Basel 1983. Besonders relevant für die wissenschaftliche Debatte war der Sammelband von Reesa Greenberg, Bruce W. Ferguson und Sandy Nairne (Hg.), Thinking about Exhibitions, London/New York 1996.
  3. Richard Shiff schreibt 2019 in seinem Essay „There Is No Meaning“ über Judd: „His works became beautiful as their default position, when they succeeded in avoiding the distraction of connotative meaning; they were specific with respect to sensation, non-specific with respect to culture“, in: Richard Shiff, Sensuous Thoughts: Essays on the Work of Dondald Judd, Berlin 2020, S. 14.
  4. Heiny Widmer und Rémy Zaugg, „Zaugg, Widmer und ‹le singe peintre“›“, in: Rémy Zaugg. le singe peintre, Ausst.-Kat. Aargauer Kunsthaus, Aarau, Aarau 1982, S. 28.
  5. Ebd., S. 29.
  6. Rémy Zaugg, Die List der Unschuld. Das Wahrnehmen einer Skulptur, Eindhoven 1982.
  7. Rémy Zaugg, Für das Kunstwerk. Kunstmuseum Bern / Atelier 5, Zürich 1983.
  8. Rémy Zaugg, Ausstellung: Balthasar Burkhard, Ausst.-Kat. Kunsthalle Basel 1983.
  9. Vgl. Thomas Seelig, „Ausstellung. Balthasar Burkhard“, in: Balthasar Burkhard, Ausst.-Kat. Museum Folkwang, Essen, Fotomuseum Winterthur/Fotostiftung Schweiz, Museo d’arte della Svizzera italiana, Lugano, Göttingen 2017, S. 166–169.
  10. Harald Szeemann, Spuren, Skulpturen und Monumente ihrer präzisen Reise, Ausst.-Kat. Kunsthaus Zürich, Zürich 1985, S. 8.
  11. Harald Szeemann, zit. nach: Jahresbericht der Zürcher Kunstgesellschaft, 1985, S. 22.
  12. Spuren, Skulpturen und Monumente ihrer präzisen Reise. 29. November 1985 bis 16. Februar 1986, Saalblatt, Kunsthaus Zürich.
  13. Siegmar Gassert und Rémy Zaugg, „Reisen zurück und nach vorn“, in: PARKETT, 8, 1986, S. 122–129.
  14. Ebd., S. 124.
  15. Ebd., S. 125.
  16. Christiane Rekade, vermitteln / vernetzen – präsentieren / produzieren. Die Rolle der Kuratorin und des Kurators im zeitgenössischen Ausstellungswesen, Magisterarbeit (Typoskript), Philosophische Fakultät III der Humboldt-Universität zu Berlin, 2001, S. 83.
  17. Rémy Zaugg, Das Kunstmuseum, das ich mir erträume / oder / Der Ort des Werkes und des Menschen, Köln 1987.
  18. Rémy Zaugg, „Die unumgängliche Propädeutik“ (1987), in: Rémy Zaugg. Gesammelte Schriften, Bd. 7, Ausstellen 1984–2004, hg. von Eva Schmidt, Siegen/Köln 2016, S. 81.
  19. Ebd., S. 82.
  20. Rémy Zaugg, „Eine Ausstellung konzipieren und realisieren heisst, sich selbst zum Verschwinden bringen“ (1991), in: Zaugg 2016 (wie Anm. 18), S. 100.
  21. Ebd.
  22. Felix Philipp Ingold, „Zaugg lesen. Notizen und Exzerpte“, in: Rémy Zaugg, Für ein Bild. Mit Beiträgen von Jean-Christophe Ammann, Theodora Vischer, Felix Philipp Ingold und Rémy Zaugg, Ausst.-Kat. Kunsthalle Basel, Berlin 1988, S. 59.
  23. Walter Grasskamp, „Die weiße Ausstellungswand. Zur Vorgeschichte des ‹White Cube›“, in: Wolfgang Ullrich und Juliane Vogel (Hg.), Weiß, Frankfurt a. M. 2003, S. 29–63.
  24. Zaugg 1983 (wie Anm. 7), v. a. S. 214–222.
  25. Zaugg 1991 (wie Anm. 20), S. 94.
  26. Zaugg 1983 (wie Anm. 8), S. 14.
  27. Zaugg 1983 (wie Anm. 7), S. 14.
  28. Ebd.
  29. Jean-Christophe Royoux und Rémy Zaugg, „Die Wirklichkeit zu erfassen ist eine Aufgabe, die kein Ende kennt“, in: Eva Schmidt (Hg.), Rémy Zaugg. Vom Bild zur Welt, Köln 1993, S. 338.
  30. Rekade 2001 (wie Anm. 16), S. 84.

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