Ein unverkennbares Merkmal zeitgenössischer Kunst ist die grosse Vielfalt der Ausdrucksformen. Die Erweiterung des Kunstbegriffs setzte im frühen 20. Jahrhundert ein, ist in unterschiedlicher Intensität bis in die Gegenwart wirksam und machte buchstäblich vor nichts Halt, nicht einmal vor dem Menschen selbst. So luden eine Musikerin und ein Künstler vor einigen Jahren dazu ein, der Geburt ihres Kindes in eine Berliner Galerie beizuwohnen. Vor wenigen Monaten war der Presse zu entnehmen, dass der belgische Künstler Wim Delvoye, der mit tätowierten Schweinen für Aufsehen sorgt, einen Menschen gefunden hatte, der bereit war, ein Bild von ihm auf seinen Rücken tätowieren zu lassen. Die Schweine lässt der Künstler in China tätowieren, mästen und schlachten, die Haut mit den tätowierten Logos bekannter Marken der Mode- und Kulturindustrie bietet er weltweit über den Kunsthandel zum Verkauf an. Die Tätowierung auf dem jungen Mann, ausgeführt von einem bekannten Meister des Fachs, war ebenfalls zu kaufen, verbunden mit dem Recht, die Haut nach seinem Tod vom Rücken zu lösen und zu einem haltbaren Bild zu verarbeiten. Eine zynische Antwort der Kunst auf den unersättlichen Kunstmarkt? Die amerikanische Kunsthistorikerin Rosalind Krauss sprach schon vor zehn Jahren von der „postmedialen Verfasstheit“ zeitgenössischer Werke, die vorgebe, wir lebten in einem „postmedialen Zeitalter“. Ihrer Auffassung nach bringt vor allem die Installationskunst dies auf exemplarische und problematische Weise zum Ausdruck. Zugleich zeigt sich allerdings auch, und davon wird hier ausführlich die Rede sein, dass unter den Bedingungen einer postmedialen Kunstpraxis nicht wenige Werke entstehen, die sich, selbst wenn sie intermedial angelegt sind, weiterhin auf eine bestimmte mediale Tradition beziehen.

Polly Apfelbaum, Katharina Grosse, Bruno Jakob, Adrian Schiess, Christine Streuli, Niele Toroni und Duane Zaloudek, die mit Arbeiten in der Ausstellung „Boden und Wand / Wand und Fenster / Zeit“ im Helmhaus Zürich vertreten sind, verstehen ihr Schaffen als Beitrag zur Malerei. Zu erfahren sind nun aber nicht nur Gemälde, sondern auch Installationen, Videos und Objekte, neue und ältere Arbeiten, die in der Ausstellung räumlich verschränkt präsentiert werden. Beteiligt sind europäische und amerikanische Künstlerinnen und Künstler verschiedener Generationen, gemeinsam ist ihnen, wie die weitere Diskussion ihrer Werke zeigen wird, das Interesse an einer entgrenzten, transmedialen, abstrakten Malerei. Der Begriff der Transmedialität bezeichnet den „Übergang von einer medialen Ausdrucksweise in eine andere“ und ist eine spezifische Form der Intermedialität. Der Wechsel von einem Medium in ein anderes oder von einem semiotischen System in ein anderes – und zwar nicht das Ergebnis dieses Wechsels, sondern der Transfer, der in der Werkrezeption vollzogen oder thematisiert wird – ist dabei für die Transmedialität konstituierend. Transmediale Malerei überwindet die konventionellen Materialgrenzen und macht dabei gerade durch die Bezugnahme auf andere Medien, im „Medienübergang“ , wie Roberto Simanowski sagt, die Malerei selbst zu ihrem Thema.

„Boden und Wand / Wand und Fenster / Zeit“ ist der Versuch, die Aktualität und Gültigkeit modernistischer Ideen anhand einiger weniger Arbeiten der zeitgenössischen Kunst, stellvertretend für viele andere Werke, zu überprüfen und nach der Rolle und dem Sinn abstrakter Malerei in der Gegenwartskunst zu fragen. Und, wie es bei einer Thematik, die den Raum der Ausstellung einbezieht, nicht anders sein kann, geht es in dieser Präsentation verschiedener Positionen von abstrakter Malerei auch um die Ausstellung als Medium. Was kann eine Ausstellung leisten? Welche Erfahrungen ermöglichen die ausgestellten Werke? Und hängen diese Erfahrungen auch mit der Art der Werkpräsentation zusammen? Der Titel beschreibt das Programm der Ausstellung und im übertragenen Sinne zugleich die Eigenschaften der ausgestellten Werke. Boden und Wand, Wand und Fenster werden in vielfältiger Weise in Beziehung zueinander gesetzt. Sie sind die konkreten Orte künstlerischer Intervention, werden von den ausgestellten Werken unmittelbar angesprochen und bilden im Zusammenspiel einen spezifischen Erfahrungsraum abstrakter Malerei. Spezifisch insofern, als die ausgestellten Arbeiten entweder am Nullpunkt malerischer Darstellung orientiert sind, sich somit Prozessen der Minimierung verdanken, oder aber gerade aus entgegengesetzten Verfahren hervorgegangen sind.

Farbfeld, Minimal Art, Anti-Form und Concept Art veränderten den Kunst- und den Werkbegriff ab 1945 nachhaltig. Die amerikanische Kunstkritikerin Lucy R. Lippard spricht 1973 im Rückblick auf die New Yorker Kunstszene der Jahre 1966–1972 sogar von „Dematerialization of the Art Object“ . Und der deutsche Kunsthistoriker Hans Belting sieht in der Kunst seit den sechziger Jahren Tendenzen, „die Kunst aus dem ausstellbaren Werk zu vertreiben“. Auch Ideen können seither den Status eines Kunstwerks haben. Die instrumentellen Eigenschaften des Kunstwerks wurden in diesem historischen Moment wichtig und bleiben es in der westlichen Kunst bis auf den heutigen Tag – eine Entwicklung, deren Konsequenzen immer noch unterschätzt werden. Die für diese Ausstellung ausgewählten Werke bauen auf diesem Befund eines unsicheren Werkideals auf und zeigen Möglichkeiten, wie abstrakte Malerei mit der Erfahrung und in Anerkennung der durch die Nachkriegsmoderne ausgelösten Entwicklungen betrieben werden kann.

Viele Künstler der Nachkriegsmoderne setzen den durch die klassischen Avantgarden ausgelösten Reduktionsprozess fort, andere antworten auf den proklamierten Nullpunkt mit der Maximierung der malerischen Mittel. Viel und wenig, laut und leise, beredt und stumm werden zu wechselweise wirkenden Eigenschaften. Ihre innere Logik entfaltet die Ausstellung durch diese vor unseren Augen ins Werk gesetzte Dialektik von Fülle und Leere, Information und Redundanz.

I

Das Werk von Niele Toroni ist beispielhaft für den Neuanfang der Malerei im Spiegel der europäischen Konzeptkunst der sechziger Jahre. Niele Toroni, der 1937 in Locarno-Muralto geboren wurde und seit 1959 in Paris lebt, malt seit 1966 nach der immer gleichen Methode: Er setzt Abdrücke des Pinsels Nr. 50 in regelmässigen Abständen von 30 cm auf unterschiedliche Bildträger, meist jedoch direkt auf die Wand, und verwendet dazu ungemischte, wasserlösliche Industrie-Acrylfarben. Die Malerei wird auf eine elementare, wiederholbare, selbstreflexive und doch in Zeit und Raum präzise verortbare Handlung konzentriert. Die Abdrücke sind nicht mittels einer Malbewegung erzeugt, sondern durch das exakte Auflegen beider Seiten des flachen Pinsels auf die Wand. Der Pinsel wird nicht als Malwerkzeug benutzt, sondern das Werkzeug bildet sich selbst ab. Die Ausführung kann nicht delegiert werden, obschon die konzeptuelle Vorgehensweise dies nahelegen würde. Toroni versteht sich nicht als Künstler, sondern explizit als Maler. Diese Haltung hat weitreichende Konsequenzen für sein Werk, auf die ich noch zu sprechen kommen werde.

Toroni führte seine neue Arbeitsmethode erstmals öffentlich im Januar 1967 bei einer Ausstellungsbeteiligung der Künstlergruppe BMPT vor. Die nur bis in den Herbst jenes Jahres aktive Gruppe bestand aus Daniel Buren, Olivier Mosset, Michel Parmentier und Toroni selbst. Mit Parmentier tauschte er sich künstlerisch und persönlich am intensivsten aus. Mosset und dessen Arbeit lernte er erst kurz vor ihrer gemeinsamen Ausstellung kennen. In Toronis Schaffen spielt die Gruppe BMPT, wie er im Gespräch betont, nur insofern eine Rolle, als die gemeinsame Manifestation es ihm ermöglichte, seine 1966 entwickelte Methode erstmals zur Diskussion zu stellen. Zuvor hatte er mit Lackfarbe Rautenmuster auf Linoleum gemalt. Von diesen Arbeiten sind nur sehr wenige erhalten, eines in der Sammlung des Künstlers. Auf diesem Bild ist zu erkennen, dass er das Ausmalen der Felder häufig mit einem Pinselhieb beginnt. Toronis Methode ist nicht das Ergebnis einer Theorie, wie dies in den konzeptuell ausgerichteten sechziger Jahren durchaus denkbar wäre, sondern die Radikalisierung einer Praxis, in der der Pinselabdruck zunächst lediglich als Ausgangspunkt von Malerei erfahren wird und schliesslich als Modus selbst zum Bildgegenstand wird. Die erste Manifestation im „Salon de la Jeune Peinture“ im Musée d’Art Moderne in Paris gemeinsam mit Buren, Mosset und Parmentier richtete sich gegen die Idee der künstlerischen Inspiration. Die vier Künstler parodierten die Malerei, indem sie während der Ausstellung so viele Werke wie möglich herstellten. Aus einem Lautsprecher war am Tag ihrer Manifestation wiederholt die Aufforderung der Künstler zu hören, intelligent zu werden. Malerei wird hier zu einer Form institutionskritischer Kunst und weist damit auf ein Tätigkeitsfeld der Kunst voraus, das sich im folgenden Jahrzehnt breit ausbilden sollte. Der Amerikaner Michael Asher ist einer der Pioniere dieser Entwicklung. Toroni plädiert bis heute für eine in Struktur und Methodik zeitgenössische Malerei und kritisiert bedenkenswerterweise, dass die meiste neue Kunst im Werkbegriff konventionell bleibt und nur die Inhalte aktualisiert.

II

Eine wichtige Rolle für die neuere Malerei, insbesondere aber auch für den Bildbegriff, spielt der amerikanische Künstler Jackson Pollock. Seine grossformatigen Drips der späten vierziger Jahre, deren dichte Struktur es nicht mehr erlaubt, den Malprozesses nachzuvollziehen, beispielsweise die Reihenfolge und Schichtung der Farbe, und dadurch jede relationale Struktur des Gemäldes negiert, materialisieren das Bild, machten es, in den Worten von Regine Prange, „endgültig undurchsichtig“ . Das Ergebnis des „All Over“ ist ein statisches Bild, das auf einen bewegten, gestischen Malakt hinweist. Der amerikanische Kritiker Clement Greenberg, der sich früh für Pollock begeisterte, spricht von der „Flatness“ als bestimmender Eigenschaft des Bildes seit dem abstrakten Expressionismus. In seinem Essay „Modernistische Malerei“ (1960) schreibt er: „Die Betonung der unvermeidlichen Flächigkeit des Bildträgers war jedoch für die Selbstkritik und Selbstdefinition der modernistischen Malerei fundamentaler als alles andere. Denn nur die Flächigkeit ist ausschließlich der Malerei eigen. Die durch seine Umgrenzung bestimmte Form des Bildes ist eine Bedingung oder eine Norm, welche sie mit dem Theater gemeinsam hat; die Farbe ist eine Norm und ein Mittel, das sie nicht nur mit dem Theater, sondern auch mit der Skulptur teilt. Weil die Flächigkeit die einzige Bedingung ist, welche die Malerei mit keiner anderen Kunst teilt, strebte die modernistische Malerei vor allem zur Flächigkeit.“

Die Rezeption Pollocks wurde entscheidend durch die Fotografien von Hans Namuth beeinflusst, die Pollock beim Malen zeigen. Der performative Akt, aus dem das Gemälde hervorgeht, stellt sich in diesen Aufnahmen als zentraler Vorgang im bildnerischen Prozess dar, und die Authentizität und die existentielle Dimension, die dem Vorgang zugeschrieben werden, legitimieren auch die neuartige Bildauffassung. Nicht nur Konzentration und Präzision versuchen die Fotos einzufangen, gezeigt wird auch, dass das Bild aus Prozessen hervorgeht, die in erster Linie Erfahrungen von Raum sind. Der Maler bewegt sich um die auf dem Boden liegendene Leinwand. Er bearbeitet eine Fläche, die nicht wie in der traditionellen Malerei als Fenster verstanden wird, sondern als konkreter Ort und Handlungsraum. Die Grundlagen für diese veränderte Bildauffassung legte im 19. Jahrhundert, wie Greenberg feststellt, der französische Maler Edouart Manet, indem er die Leinwand in ihrer stofflichen Qualität und in ihrer Eigenschaft als Fläche in seine Malerei einbezog: „Manets Gemälde waren die erste modernistische Malerei, weil sie offen heraus erklärten, dass sie auf einer planen Fläche gemalt waren.“ Mehr noch: Manet machte durch die Thematisierung der Fläche auch die Charakteristika der Leinwand selbst, beispielsweise ihre Begrenzungen, in der Malerei sichtbar. Er erfand, so der französische Philosoph Michel Foucault, das „Bild als Objekt“, „das Bild als Materialität, als farbigen Gegenstand, der von einem äußeren Licht beleuchtet wird und vor dem und um das herum sich der Betrachter bewegen kann“. Im Rückblick auf die Malerei Manets wird eine zentrale Eigenart nicht nur, wie Greenberg meint, der modernen Malerei, sondern, wie bereits angedeutet, der Kunst des 20. Jahrhunderts überhaupt erkennbar: Die Erweiterung des Kunstbegriffs und damit zusammenhängend der sich seit dem 19. Jahrhundert abzeichnende und in der Moderne vollzogene „Abbau des bestehenden Gattungssystems“ . An den Platz tradierter Darstellungsarten und Gattungen, welche die gesellschaftlichen Normen und Werte nachahmen und überliefern, rückt in der Moderne keine neue Ordnung, sondern eine Vielfalt künstlerischer Darstellungsmöglichkeiten: „Die selbständige Bestimmung des individuellen Arbeitsansatzes durch den jeweiligen Autor, die Reflexion des Mediums und der eigenen Erfahrungen ließ sich kaum ein Künstler dieses Jahrhunderts nehmen.“ Der Kunstwissenschaftler Gottfried Boehm spricht von einem „Wechsel in der Legitimationsbasis der künstlerischen Tätigkeit“, die dazu führte, dass die Künstler nun das Ausdrucksmedium und die Tätigkeit selbst auf eine zuvor unbekannte Weise betonen.

Wird vom „Bild als Objekt“ gesprochen, haben wir heute sofort das Schaffen von Donald Judd vor Augen, der als Maler begann und in den frühen sechziger Jahren mit einer Kunst experimentierte, die weder Malerei noch Skulptur sein sollte. Judd, der bei Meyer Schapiro an der Columbia University Kunstgeschichte studiert hatte, schrieb neben seiner künstlerischen Tätigkeit in den Jahren 1959–1965 Kunstkritiken. Sein 1964 publizierter Aufsatz „Specific Objects“ beginnt mit dem Satz: „Die Hälfte oder mehr der besten neuen Arbeiten der letzten Jahre ist weder Malerei noch Skulptur.“ Seine Vorbehalte gegenüber Malerei und Skulptur erklären sich aus seiner eigenen Situation als Künstler. Judd kritisierte das Gemälde, weil es „eine rechteckige, flach auf die Wand gesetzte Fläche“ sei. Er beobachtete aber auch, dass die Künstler der New York School, wie Newman, Still oder Rothko, das Bild wie ein Ding behandelten. Was ist damit gemeint? Die Künstler betonten die Malfläche als Ganze, wobei die innere Gliederung einfach und auf die äussere Begrenzung bezogen blieb. Auch die Wand ist eine Fläche. Die Beziehung zwischen Bild- und Wandfläche wird – etwa bei Stella – optisch dominant, und das Gemälde gewinnt an räumlichem Bezug. Wie Greenberg beschäftigte Judd die Flächigkeit der neuen abstrakten Malerei, doch zog er aus seiner Beobachtung völlig andere Schlüsse. Die gegenständliche Ikonographie blieb auch aus seinem Werk ausgeschlossen. Judd suchte nach einer Fortsetzung des Weges, den die Generation vor ihm eingeschlagen hatte und glaubte, diese in einer Kunst zu finden, welche die Flächigkeit hinter sich lässt, um Fragestellungen der Malerei in der dritten Dimension nachzugehen.

Das Happening war für dessen Erfinder, den amerikanischen Künstler Allan Kaprow, der nächste Schritt in jene Richtung, in die Pollock mit seiner Malerei gewiesen hatte. Wie viele vor ihm bezog sich Kaprow in seinem berühmten, 1958 erschienenen Buch über Pollock in erster Linie auf die schon geschilderte, als action painting bezeichnete Malweise des Künstlers. Wenige Jahre nach dem Erscheinen dieser Studie zu Pollocks Bedeutung für die zeitgenössische Kunst kam Kaprow in Assemblage, Environments & Happenings noch einmal auf die Vorgeschichte dieser neuen Kunstform zu sprechen, welche die Unterschiede zwischen den Darstellungsarten weitgehend aufgelöst habe. Da sowohl das Environment als auch das Happening installative, räumliche Eigenschaften haben, war es für Kaprow naheliegend, das Verhältnis von Kunst und Architektur zu untersuchen. Er arbeitete dabei die Abhängigkeit der Kunst von der Struktur des sie umgebenden Gebäudes heraus. Um sich diesen Zusammenhang vor Augen zu führen, müsse man sich lediglich eine Leinwand ohne das kubische Volumen eines Zimmers und die flache Wand oder aber einen Stuhl auf einem unebenen Boden vorstellen. Es sei nicht verwunderlich, so Kaprow weiter, dass die gekurvten Wände und die spiralförmige Rampe des Guggenheim Museums in New York Künstler wie Kritiker zutiefst verunsichert hätten. Andererseits stand für Kaprow mit Blick auf die Geschichte der Malerei auch fest, dass die plane Oberfläche des Bildes mit seiner Funktion einhergeht, einen Unterschied zur Umgebung zu manifestieren und damit die symbolische Dimension des gemaltens Bildes zu begründen. Dieses unsichere Verhältnis zur Wirklichkeit permanent neu aufzubauen, gehört seiner Ansicht nach zu den grundlegendenden, aber auch konfliktträchtigen Aufgaben der Malerei. Harriet Janis und Rudi Blesh erinnern sich, wie das erste Happening, das allerdings noch nicht als solches geplant war, zustande kam: „Kaprows Ausstellung konnte eröffnet werden. Er sah sich um und sah nichts als Bilder an der Wand, und es packte ihn so etwas wie Verzweiflung. Er begann, um die Bilder herum Träger in die Wand zu schlagen, und von diesen zog er bemalte Leinwandfetzen herunter, zerschnitten und mit Löchern durchbohrt. Um nun die Bilder zu sehen, musste man durch die zerschnittenen Vorhänge sehen. Dann plazierte er, fürchtend, dass es sonst zu einfach wäre, Glühbirnen zwischen die Vorhänge und Bilder, überdies baute er in den Stromkreis eine Automatik ein, die sie in verschiedener Geschwindigkeit und Intensität aufleuchten ließ … Damit war die Malerei-als-Environment geboren und damit das Happening.“

Die Bezeichnung „Intermedia“ für jene Werke der Nachkriegskunst, die sich konzeptuell entweder zwischen den Medien bewegen, wie beispielsweise die „combine paintings“ von Robert Rauschenberg, oder zwischen den Künsten, wie das Happening, geht auf Dick Higgins zurück. In seinem Aufsatz „Intermedia“ von 1965 bezieht er sich auf den englischen Dichter Samuel Taylor Coleridge, der den Begriff schon 1812 in diesem Sinne verwendet habe. Der entscheidende Schritt auf dem Weg zum Kunstverständnis von Kaprows Generation war die Erfindung und künstlerische Durchsetzung der Collage durch den Kubismus. Der Einbezug von Fragmenten aus der Dingwelt in die Komposition eines Gemäldes und somit die Durchbrechung der gemalten, planen Fläche verwandelte das Bild in ein gemaltes Ding. Die Malerei verwies nun nicht mehr ausschliesslich auf Gegenstände im Raum, sondern sie konnte selbst zu einem solchen werden. Auch Greenberg blieben diese Entwicklungen nicht verborgen. In seinem späten Text „Intermedia“ (1981) erwies er sich als ein genauer Beobachter der New Yorker Kunstszene, auch wenn er die neuen Werkformen ablehnte. Die Szene habe sich für Installationskunst, Klangkunst, Aktionskunst, Performance, Video und Tanz geöffnet, aber auch für verschiedene Formen des geschriebenen und gesprochenen Wortes. Diese Offenheit und Aufnahmebereitschaft für inter- und multimediale Werkformen erklärte Greenberg mit der „Führungsrolle der bildenden Künste in der modernistischen Neuerung“, aber auch mit veränderten Qualitätsmassstäben und dem Rezeptionsverhalten eines wachsenden Publikums aus der Mittelschicht. Tatsächlich ist inzwischen die intermediale oder multimediale Kunst mit ihrer langen, bis in die Moderne zurückreichenden Geschichte die vorherrschende Kunstform. Der belgische Kunsthistoriker Thierry de Duve nennt diese Kunst im Unterschied zur modernistischen generisch, „d. h. Kunst, die alle Verbindungen zu den spezifischen Berufen und Traditionen der Malerei oder der Plastik abgebrochen hat“ .

III

Aus heutiger Sicht verwundert es, dass Greenberg, einem Zeitgenossen und Zeugen der Moderne, das dialektische Verhältnis zwischen Reduktionismus und Entgrenzung der Künste innerhalb dieser Moderne verborgen blieb. Ist die Intermedialität nicht eine Konsequenz aus dem modernistischen Reduktionsprozess, der die Künstler bis zur leeren Leinwand und dem unsichtbaren Bild führte? Greenberg selbst hielt 1962 fest: „Im Zuge der Überprüfungen durch den Modernismus erwiesen sich immer mehr Konventionen der Malerei als verzichtbar, als unwesentlich. Inzwischen scheint festzustehen, dass die irreduzible Essenz der Malerei in nur zwei konstitutiven Konventionen oder Normen besteht: Flächigkeit und deren Begrenzung, und dass es genügt, diese beiden Normen einzuhalten, um ein Objekt zu erschaffen, das als ein Bild erfahren werden kann: Eine auf den Keilrahmen gespannte Leinwand existiert bereits als ein Bild – allerdings nicht unbedingt als ein gelungenes Bild.“ Was zum Bild fehlt, ist die Malerei, der Farbauftrag. Der amerikanische Künstler John Baldessari bringt dieses ambivalente Verhältnis zur Malerei 1967 auf eine für diese Zeit beispielhafte Weise zum Ausdruck mit dem auf die weisse Leinwand geschriebenen Satz: „EVERYTHING IS PURGED FROM THIS PAINTING BUT ART, NO IDEAS HAVE ENTERED THIS WORK“

Der Prozess fortschreitender Reduktion mündete in den sechziger Jahren in das konzeptionelle Bild. Ein mögliches Arbeitsfeld des Künstlers war nun der Kunstbegriff, dessen Erweiterung intensiv betrieben wurde. An einem Nullpunkt angelangt, bewegt sich die Kunst seither in unterschiedlichste Richtungen. Diese bis heute anhaltende Entwicklung zu neuen Bildformen ist auch und gerade an der seither entstandenen Malerei ablesbar, jenem Medium also, das in den sechziger Jahren, am vorläufigen Ende der modernistischen Malerei, grundsätzlich infrage gestellt wird.

Der in New York lebende, 1954 in der Schweiz geborene Maler Bruno Jakob entwickelte sein Werk durch die tatsächliche Verwendung unsichtbarer Malmittel wie Wasser, Energie, Licht, Luft und Gedanken an dieser Schnittstelle. Seine ersten „Invisible Paintings“ entstanden schon um 1968 auf dem elterlichen Bauernhof. Noch vor seiner künstlerischen Ausbildung richtete er sich im Dachstock des Wohnhauses ein Atelier ein, um zu zeichnen und zu malen. Aus jenen Jahren hat sich ein Malkarton erhalten, den Jakob als eine der frühesten Arbeiten bezeichnet, für die er als Malmittel Energie verwendete. Während er malte und zeichnete, stand dieser Karton in seiner Nähe. Er machte beim Malen die Erfahrung, dass auch die intensive Betrachtung, die konzentrierte Anschauung dieses weissen Kartons eine Möglichkeit ist, Bilder nicht nur zu imaginieren, sondern auch tatsächlich auf der leeren Fläche zu sehen. Diese Beobachtung teilt er mit vielen anderen Malern aus der gesamten Kunstgeschichte, spezifisch aber ist, dass Jakob auf dieser Grundlage beschloss, diese Bilder nicht nur zu akzeptieren und sogar als „Invisible Paintings“ überdauern zu lassen, sondern seine Arbeitsmethode konsequent in jene Richtung entwickelte. 1969 begann er, mit Wasser zu malen, zunächst lediglich auf Löschblätter. 1973 fand er in der Druckerei, in der er arbeitete, eine Rolle transparenter Kunststofffolie, die er seither wie einen belichteten, aber unentwickelten Film voller verborgener Bilder aufbewahrt. Für die Entwicklung seiner Arbeit auf dem eingeschlagenen Weg sah er zahlreiche Möglichkeiten: 1976 legte er Papiere in den Regen, damit dieser sich selbst darstelle, oder er setzte Papierbögen dem Nebel aus. Er legte Blätter auf einer Ameisenstrasse aus und folgte mit dem Bleistift einzelnen Ameisen, die das Papier betraten und überquerten. Im Garten überliess er die Komposition seiner Bilder den Fliegen und Mücken, indem er jene Stellen auf dem Papier markierte, auf denen sie sich für einen Moment aufhielten. Er versuchte den Regen zu zeichnen. In jenen Jahren entstanden auch Bilder ohne festen Träger. Er malte auf Kunststofffolie und löste die Farbschicht nach dem Trocknen davon ab. Seine Roll- und Faltbilder auf Baumwolle entstanden mittels kombinierter Verfahren (Malerei, Spray, Abklatsch). Die bemalten Tücher wurden aufgerollt und als teilweise aufgerollte oder als gefaltete Bilder ausgestellt, so dass das Bild als Ganzes unsichtbar bleibt.

Bruno Jakob entwickelte früh ein Interesse für das Unsichtbare, Verborgene, Latente, Verlorene, Unrealisierte und das Nichtdarstellbare und bearbeitet diese Aspekte des Bildes seither malerisch. Zugleich hat er bis heute nie aufgehört, die Welt abzubilden und Ideen darzustellen. So entstehen beispielsweise, und darauf wurde bislang kaum hingewiesen, figurative Zeichnungen, in denen sich der Künstler beim Malen zeigt, oder Videos mit Situationen, in denen er künstlerisch arbeitet. Dabei kann es durchaus sein, dass Jakob mit der einen Hand mitten in der Stadt mit Wasser auf ein Papier malt oder auf einer blühenden Bergwiese Blumen mit Morgentau bemalt, während er mit der anderen die Kamera führt und dabei die Umgebung zeigt, in der er sich gerade auf ein Bild konzentriert. Diese Bänder, von denen eine Auswahl in der Ausstellung zu sehen ist, dokumentieren Lebenszeit und die Gleichzeitigkeit verschiedener Ereignisse, darunter auch das Malen eines Bildes. John Cage liess verschiedene seiner Kompositionen gleichzeitig aufführen und sprach dabei von einem indeterminierten Ereignis. In Performances von Bruno Jakob werden die Videos oft ungeschnitten abgespielt, der Betrachter ist also mit Realzeit konfrontiert. Er malt auch vor Publikum, wobei er oftmals mehrere bildnerische Prozesse parallel ausführt und etwa den Aggregatzustand seiner Malmittel verändert, indem er während einer Performance Wasser verdampfen lässt und den Dampf wieder zum Malen verwendet. Der Auffassung von Cage, eine der Hauptaufgaben der zeitgenössischen Kunst, so wie er diese verstehe, sei gerade nicht, sich mit sich selbst und seinen Gefühlen zu beschäftigen, sondern den Menschen die Augen für die Welt zu öffnen und damit die Sichtweise auf diese Welt zu verändern, kommt die Haltung Bruno Jakobs sehr nahe. Die Bedeutung seiner Arbeit liegt für Leigh Markopoulos in der radikalen Kritik an dem in unserer Kultur tief verankerten Vertrauen in die visuelle Evidenz.

Bruno Jakob äusserte kürzlich, er beschäftige sich als Maler weder mit Gegenwart noch Vergangenheit, sondern er suche nach einer Form für die Zukunft. Seine Werke sollen die Zukunft in sich aufnehmen können. In seinem Schaffen erscheint nicht lediglich das Bild, sondern auch die Malerei unabhängig von seiner Person. Zu seiner ästhetischen Praxis gehörte es bislang, dass er mit dem Bildträger in physischen Kontakt kam, unabhängig davon, ob er mit Wasser, Berührung, Energie, Licht, Luft oder Gedanken arbeitete. Nun radikalisiert er seine Praxis und geht in seinem Beitrag im Helmhaus Zürich der Frage nach, ob es nicht auch möglich wäre, ein Gemälde aus der Ferne auszuführen? In einem Raum zeigt Jakob eine Installation mit bewegten Bildern und bemalt in einem weiteren die Wände von New York aus mit Gedanken. Sein Werk ist, so paradox diese Feststellung gerade angesichts des letzterwähnten Vorhabens erscheinen mag, vor allem visuell, obschon die Arbeit das Gegenteil zu sein behauptet. Seine Malerei ist weder abstrakt noch gegenstandslos oder konzeptuell, sie entwirft auch keine eigene Symbolik, sondern wendet sich in Form der Zeichnung, des Gemäldes, der Fotografie, des bewegten Bildes, der Performance und der Architektur an den Betrachter und fordert diesen durch ihre offene Struktur auf, sein Verhältnis zum Sichtbaren zu befragen. Die sichtbaren Komponenten der Arbeit Jakobs sind an konventionellen Eigenschaften bildnerischer Werke orientiert und lassen die Malerei als gezielte Handlung glaubwürdig erscheinen.

Es ist kein Zufall, dass es die unbearbeitete Fertigleinwand als Ready-made bei Marcel Duchamp nicht gibt, obschon diese Arbeit für ihn als Maler naheliegend gewesen wäre. Der Grund ist das generische und nicht spezifische Verständnis von Kunst, das seinem Werk zugrunde liegt. Die unsichtbare Malerei von Bruno Jakob steht wie beispielsweise auch die Arbeit Keilrahmen (1968) von Imi Knoebel – im Unterschied zum Werk von Duchamp – in der Tradition des Spezifischen. Es wäre daher unangemessen, ihn als Konzeptkünstler zu bezeichnen, doch ohne die Konzeptkunst der sechziger Jahre wäre seine Malerei als Kunst nicht wahrnehmbar und bliebe Material. Durch die tatsächliche Verwendung unsichtbarer Malmittel verbindet Jakob die Konzeptkunst mit der Malerei. Die bewusste Zurückweisung einer Darstellungsart, so der amerikanische Philosoph Arthur C. Danto, schliesse „die Zurückweisung einer gesamten Art des Bezugs auf die Welt und auf die Menschen ein“. Bezogen auf Jakobs Schaffen bedeutete dies, den Bildermacher dafür zu kritisieren, dass er hinter seine Arbeitsmethode zurücktritt, aber auch die strukturelle Offenheit seiner Malerei in Zweifel zu ziehen und damit selbstverständlich auch seine malerische Praxis, die jede einzelne Arbeit als Möglichkeitsform auffasst, sie im bildnerischen Prozess auf die Zukunft ausrichtet und zum Resonanzraum für den Betrachter bestimmt.

IV

Die modernistische Malerei wäre missverstanden, würde man die einzelne Arbeit lediglich als Lösungsvorschlag für ein Formproblem innerhalb der eigenen Überlieferung behandeln. Umgekehrt ist aber aus der Beobachtung, dass zeitgenössische Künstler verschiedene Medien benutzen, nicht der Schluss zu ziehen, die Entwicklung der Malerei sei in den sechziger Jahren, als sie nur mehr die Malfläche, also die leere Leinwand zeigte, tatsächlich an ihr Ende gekommen. Die Selbstverständlichkeit, mit der Künstler sich heute verschiedener Medien bedienen, fordert eine differenzierte Wahrnehmung der Arbeiten. Dazu gehört auch die Frage, ob unter der Bedingung der Multimedialität und eines pluralistischen Kunstbegriffs nicht dennoch zwischen Werken unterschieden werden kann, die sich in die Traditionen etwa der Malerei, der Skulptur oder des bewegten Bildes einreihen? Inwiefern behandeln die Videos von Bruno Jakob, die aus Papier zu Hüten geformten Objekte von Duane Zaloudek, die bemalten Platten von Adrian Schiess oder die von Polly Apfelbaum nach einer bestimmten Ordnung auf dem Boden ausgelegten farbigen Stoffe – um nur einige Arbeitsbeispiele aus dieser Ausstellung aufzuzählen – Aufgabenstellungen der Malerei? Inwiefern sind diese Arbeiten, um die Unterscheidung von de Duve wieder aufzugreifen, „spezifisch“ und nicht „generisch“ ? Stephen Melville sagt in diesem Zusammenhang und bezogen auf Greenbergs Schriften zur modernistischen Malerei: „The thought one might begin to have is that the internal possibilities of a medium are not fully or adequately thinkable apart from some reflection on the other mediums with which it is in relation.“

Wir möchten in dieser Ausstellung prüfen, ob auch unter dem Vorzeichen der Intermedialität Arbeiten entstehen, die von plastischen oder malerischen Fragestellungen ausgehen – mehr noch, vielleicht immer noch Skulptur oder Malerei sind, selbst wenn sie dies nach traditioneller Auffassung nicht mehr wären. Für diese Untersuchung müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Wir müssen beispielsweise den Begriff „Medium“ neu denken. Krauss versteht darunter nicht wie Greenberg den unbearbeiteten technischen oder materialen Träger, in unserem Falle also die Malfläche, sondern betont die „innere Pluralität eines jeden Mediums“, die neben der materiellen Verfasstheit auch die damit verbundenen Artikulations- und Verfahrensmöglichkeiten umfasst.

Selbstverständlich blieb die Malerei nicht unberüht von den generellen Entwicklungen in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Marcel Duchamp ist sichtbar in die abstrakte zeitgenössische Malerei eingeschrieben. Dieter Schwarz legt dies sehr schön in seinem Aufsatz „Über die Möglichkeit mehrerer Farbtuben“ dar, in dem er auch auf Niele Toroni zu sprechen kommt. Schwarz erinnert zunächst an ein Interview mit Duchamp von 1968 und zitiert den Künstler wie folgt: „Ein Ready-made ist ein Kunstwerk ohne einen Künstler, der es herstellt, wenn ich die Definition etwas vereinfachen darf. Eine Farbtube, die ein Künstler benützt, ist nicht von ihm hergestellt worden; sie stammt vom Fabrikanten, der Farben herstellt. Also macht der Maler in Wirklichkeit ein Ready-made, wenn er mit einem fabrizierten Objekt malt, das man Farben nennt.“ In unserem Zusammenhang interessant ist, und darauf weist Schwarz ausdrücklich hin, dass Duchamp dazu aufrief, Malerei als Ausdruck und Reflexion der historischen Produktionsverhältnisse zu verstehen. Im Unterschied zur monochromen, ungegenständlichen Malerei, welche Farbe als Material zeigt und deshalb zunächst als konzeptuell stringenteste Entsprechung von Duchamps Gedanken gelten könnte, besteht bei Toroni lediglich eine latente, eine offene Verbindung zwischen Farbe und Malgrund. Sie existieren weiterhin für sich selbst: „Einen nach dem anderen oder einen neben dem anderen legt Toroni seine Pinselabdrücke vor, eine Arbeit, die sich nie in einem Objekt zusammenfassen lässt. In der Ausstellung der Abdrücke versucht Toroni nicht, eine Einheit zwischen den Elementen, mit denen er arbeitet, zu erreichen, und selbst wenn die Abdrücke sich im Rahmen einer Architektur resümieren lassen, verweisen sie zurück auf diese Architektur, und die Figur löst sich im Nebeneinander der Abdrücke auf.“ Toroni versteht seine Methode nicht als ein konzeptuelles künstlerisches Verfahren, sondern als Malerei, die von ihm selbst ausgeführt werden muss, obschon die Arbeit keinen Spielraum für einen persönlichen, subjektiven Ausdruck bietet. Und gerade darin liegt ihre Stärke. Indem er seit 1967 die Autorschaft für eine einfache, leicht delegierbare, mehrfach zu wiederholende malerische Handlung einfordert und gerne übernimmt, und dabei jedesmal einen neuen Pinsel und eine neue Dose Farbe verwendet, die nach Beendigung des Tagwerks weggeworfen werden, gelingt es ihm, die Produktionsbedingungen in einer arbeitsteiligen, hochindustrialisierten Gesellschaft mit jeder Arbeit neu zur Debatte zu stellen.

Zahlreiche Künstler vor allem der Nachkriegszeit rücken die Farbe ins Zentrum ihrer Arbeit und schaffen Bilder, die nicht mehr dazu bestimmt sind, flach an der Wand wahrgenommen zu werden. Diese Künstler thematisieren in ihren installativen oder objekthaften Arbeiten die mit Farbe bemalten Oberflächen. An diesen Werken lässt sich zeigen, wie Malerei sich erneuern kann. Einen in verschiedener Hinsicht aufschlussreichen Weg ist der amerikanische Künstler John Chamberlain gegangen. Er stellt Arbeiten aus lackierten Blechen her, die er zu farbigen Volumen formt und presst. Judd hat den neuartigen Umgang mit Fläche und Farbe, die malerische Dimension der Assemblagen sehr früh erkannt und beschrieben. Was interessierte ihn an diesen Arbeiten? In seinem bereits zitierten Text von 1964 heißt es dazu: „Komposition und Bildhaftigkeit in Chamberlains Arbeiten sind primär die gleichen wie bei älterer Malerei, aber sie sind zweitrangig, gemessen an dem äußeren Eindruck von Unordnung, und sie werden zuerst vom Material verborgen. Das zerknüllte Blech hat die Tendenz, so zu bleiben. Zuerst ist es neutral, nicht künstlerisch, und scheint später objektiv. Wenn Struktur und Bildhaftigkeit einem klar werden, scheint es zuviel Blech und Raum, mehr Zufall und Beiläufigkeit als Ordnung zu geben. Die Aspekte von Neutralität, Zuviel, Form und Bildhaftigkeit könnten ohne drei Dimensionen und das bestimmte Material nicht zusammen eingebunden sein. Die Farbe ist auch neutral und sensitiv und hat – anders als Ölfarbe – ein weites Spektrum. Jede wesentliche Farbe ist – anders als bei Malerei – in dreidimensionalen Arbeiten verwendet worden. Farbe ist nie unwichtig wie normalerweise bei Skulptur.“ Dieter Schwarz hat diese Gedanken aufgenommen und daraus die Fragestellung entwickelt, welche Rolle das Material in der amerikanischen Nachkriegskunst spielt. Er spricht vom Vorrang des Objekthaften und Materiellen, das ausserhalb des suggerierten Raumes stehen und am realen Raum des Betrachters teilhaben muss. „Die Präferenz für das Faktische gegenüber dem Idealen ist keine formale Strategie, denn sie beruft sich auf ethische Grundlagen, auf die Lebenspraxis anstelle einer kunsthistorischen Genealogie.“ Entscheidend für dieses Verständnis der Arbeiten von Chamberlain ist, dass es sich bei seinen Werken nicht um bemalte Objekte handelt, sondern um Arbeiten, die aus lackierten Blechen geformt sind. Es sind vollplastische Bilder mit entsprechend vielen Ansichten.

V

Duane Zaloudek, der 1931 auf einer kleinen Farm in Texas geboren wurde und seit 1973 in New York lebt, formte 1980–1982 aus Aquarellpapier ungefähr 20 Hüte, die zum überwiegenden Teil in seinem Wohnatelier an der Wand hängen. Für ihre Herstellung verwendete er ein englisches Qualitätspapier, von dem er eine grössere Menge billig erwerben konnte, als die Fabrik in den späten siebziger Jahren die Produktion einstellte. Zaloudek arbeitete mit einer Holzform eines professionellen Hutmachers, die er auf der Strasse gefunden hatte. Die Arbeiten entstanden in einer Zeit, als sich der Künstler mit einer Augenerkrankung konfrontiert sah und damit zunächst nicht umgehen konnte. Die Wahrnehmung seiner abstrakten Malerei, die sich an der Grenze zur Unsichtbarkeit bewegte, bereitete ihm grosse Probleme. Entsprechend schwierig war die Arbeit im Atelier. In dieser Situation ging er dazu über, dreidimensionale Objekte zu formen, und zwar Hüte, wie man sie damals noch in seiner alten Heimat, nicht aber in Manhattan getragen hätte. In jenen Jahren verdiente Zaloudek sich seinen Lebensunterhalt als Bauarbeiter. Er vertraute nun ganz seiner handwerklichen Fertigkeit. Einige Exemplare bestreute er mit Sägemehl, das er von der Arbeit mitbrachte. Der befreundete Maler Bill Copley kaufte eine dieser Arbeiten. Ausgestellt hat Zaloudek seine dreidimensionalen Aquarelle nie. 1968, noch in Oregon, arbeitete er an Environments, die nur in einer einzigen Ausstellung zu sehen waren: drei aus verschiedenfarbigem Plexiglas (weiss, grün, braun) gefertigte, mehrteilige Strukturen. Die Aufnahmen davon heben eine zentrale Eigenschaft der Environments hervor, nämlich diejenige, zugleich zu zeigen und zu verbergen, zu verbinden und zu trennen. Vor seinem Umzug nach Kalifornien 1971 zerstörte er die Arbeiten, anstatt sie, wie ursprünglich geplant, in Glas auszuführen, um sie permanent im Aussenraum aufstellen zu können. Zaloudek kehrte zur Malerei zurück. Die Betrachtung seiner seither entstandenen Weiss-in-Weiss-Malerei ist herausfordernd und zeitintensiv, weil sie den wechselseitigen Übergang vom Sichtbaren zum Unsichtbaren thematisiert. In den achtziger Jahren begann Zaloudek, Arbeiten auf Papier in installativer Form auszustellen. Er schreinerte Holzkassetten, in denen er die Aquarelle nicht nur lagert, sondern auch ausstellt. Geöffnet werden sie auf einem von ihm entworfenen und gebauten Metalltisch präsentiert, an den sich der Betrachter auf einem der dazu gehörenden Stühle setzen kann. In Europa zählte man Zaloudek nun zu den „radikalen“ Malern. Im Zentrum seiner Kunst steht die Wahrnehmung, jene eines Bildes und, durch die installative Präsentation der Malerei, auch jene der eigenen Person als wahrnehmende. Die Bilder machen den Wahrnehmungsprozess bewusst und sollen dem Betrachter zudem eine differenziertere Selbstwahrnehmung ermöglichen. Zaloudek ist Maler: Ihn faszinieren Oberflächen und der Raum, den diese dem Auge erschliessen können. Die Verwendung von Aquarellpapier, das mit Wasser behandelt werden muss, damit man es zu einem Objekt verarbeiten kann, und das seine eigentliche Bestimmung weiterhin erkennen lässt, ordnet die daraus entstandenen Objekte der Kategorie der Malerei zu.

Polly Apfelbaum lebt ebenfalls in New York, geboren wurde sie 1955 in Abington, Pennsylvania. Erstmals begegnet sind sich Apfelbaum und Zaloudek während der Vorbereitung dieser Ausstellung anlässlich eines Abendessens in New York, bei dem auch Bruno Jakob zugegen war. Polly Apfelbaum bemalt, zerschneidet, faltet, ordnet und stapelt Textilien, vor allem synthetischen Samt. In den frühen neunziger Jahren arbeitete sie auch mit farbigem Papier, das sie in Rollen in einer Kartonschachtel präsentierte (The Color of My Fate, 1990/2003) oder geschredert und nach Farben sortiert in grossen Säcken ausstellte (The Dwarves with Snow White, 1992/2003). Seit 1992 verwendet sie Tusche, um die Stoffe einzufärben. Mit synthetischen Textilien arbeitet sie nicht nur wegen den besonderen stofflichen Eigenschaften des Materials, sondern auch aus inhaltlichen Gründen. Im Unterschied zu Leinwand oder Baumwolle konnotiert die Verwendung von Samt nicht zuerst Malerei, sondern luxuriöse Kleidung und Raumausstattung – schwere Vorhänge und voluminöse Polstermöbel in grossbürgerlichen Villen, dunkle Abendkleidung und Kerzenlicht. Echter Samt ist ein anschmiegsamer, weicher, wärmender und verführerischer Stoff, und er ist teuer. Apfelbaum kauft synthetischen, billigen Samt und weist damit in Richtung der populären Kultur.

1996 begann sie, grosse Bodenarbeiten aus Textilien zu zeigen. Diese Werke evozieren serielle Arbeiten der Minimal Art, bestehen aber aus hunderten von unterschiedlichen, individuell zugeschnittenen und mit Tusche eingefärbten Elementen. Sie zeichne mit der Schere, soll die Künstlerin einmal gesagt haben. Oder sie rollt mit Farbe getränkte Stoffe auf Kartonröhren (Bones, 2000) und zeigt die Rollen wie ein Lager verborgener Bilder. Ähnlich wie Adrian Schiess, auf den ich anschliessend zu sprechen komme, sucht Apfelbaum als Malerin die Horizontale, wendet sich ab von der Wand und arbeitet mit der räumlichen Ausdehnung der farbigen Felder. Ihre Arbeiten erinnern in Struktur, Ornamentik und Farbigkeit an Teppiche – ein Vergleich, der optisch naheliegt, zum Verständnis ihres Werkes jedoch wenig beiträgt. Charakteristisch an Apfelbaums Arbeiten sind neben der Obsessivität, die durch die schiere Menge an ausgeschnittenen, bemalten und systematisch geordneten Stoffelementen zum Vorschein kommt, und einer an Matisse erinnernden Farbigkeit ihre prekären Eigenschaften, insbesondere ihr provisorischer Status. Latenz ist ein zentraler Begriff für das Verständnis ihres Schaffens. Die unzähligen Teile, aus denen die Werke zusammengesetzt sind, bleiben im Unterschied zu einem Teppich oder den späten Scherenschnitten von Matisse unverbunden. Verschiebung, Überlagerung, Unordnung, Zerfall könnten jederzeit eintreten und gehören zur Identität dieser fragilen Gebilde. Polly Apfelbaum spricht von diesen Werken, die bei jeder neuen Präsentation anders konfiguriert werden können, als „fallen paintings“ . Anschaulich wird durch diese begriffliche Anspielung auf den Höllensturz, dass die Künstlerin ihrem Selbstverständnis nach mit den Mitteln der Malerei ‚verbotenerweise‘ in eine durch die klassische Minimal Art besetzte Zone vorgedrungen ist. Apfelbaum interessiert sich für das Auslegen von systematisch gegliederten, farbigen Feldern, und zwar in einer Weise, dass die Arbeiten in einem letztlich unbestimmten Raum zwischen Malerei, Plastik und Installation wahrzunehmen sind.Sie entwirft geometrische Systeme oder Raster im Raum, wirft aber zugleich durch das Falten, das Schichten oder Zerknüllen der Stoffe skulpturale Fragen auf.

Die Flachen Arbeiten von Adrian Schiess, deren Ausstellung in der Kirche San Staë bei der Biennale von Venedig 1990 grosse Resonanz fand, erfüllen die Anforderung an ein modernistisches Werk auf den ersten Blick in beinahe idealer Weise. Die mit Industrielack monochrom bemalten Platten können überall und auf fast jede erdenkliche Art ausgestellt werden, ausser als Bilder an der Wand. Adrian Schiess zeigt die Platten in der Galerie oder im Museum ausgelegt auf Kanthölzern, meist in Gruppen als Bodenarbeit. Bei Platzmangel dürfen die Platten auch an die Wand gelehnt oder teils gestapelt, teils voreinander stehend ausgestellt werden. In den achtziger Jahren arbeitete der Künstler zunächst mit Spanplatten, dann häufig mit Aluminiumverbundplatten in verschiedenen Grössen und Stärken, die er nach wie vor in einem Spritzwerk mit Industriefarben nach seinen Vorstellungen lackieren lässt. Die glänzenden Oberflächen machen sichtbar, wie Licht in den jeweiligen Raum einfällt, und dass die Erscheinung und der Tonwert von Farbe von der Lichtqualität abhängen. Erfahrbar werden so die transitorischen Eigenschaften von Farbe, Raum und Licht. Malerei ist bei Schiess eine Arbeit an der Oberfläche. Entscheidend aber ist die Interaktion dieser Oberfläche mit dem Umraum und den Betrachterinnen und Betrachtern. Als Adrian Schiess vor einigen Jahren seine Platten in einem landschaftlich spektakulär, aber in unwegsamem Gelände in den Schweizer Bergen gelegenen kleinen Holzhaus ausstellte, wurde dies besonders eindrücklich erfahrbar. Schiess verwendete in der Hütte vorgefundene Bretter sowie Fallholz aus dem nahe gelegenen Wald, um die Platten im Raum zu installieren. Die damals verwendeten weichen PVC-Platten legten sich wie Haut über das aufgeschichtete Astwerk und bildeten zuvor in seiner Arbeit nie gesehene Volumen, die wiederum überraschende Farbräume und Lichtreflexe entstehen liessen. Adrian Schiess thematisierte in der Ausstellung, was Maler seit jeher interessiert: Licht. Im Unterschied zum traditionellen Landschaftsbild ist in dieser Arbeit aber die Realzeit massgebend. Die Farberscheinung, die das Bild der Situation prägt, existiert nur im Moment der Betrachtung. An diesem speziellen Ort über dem Walensee interessierte den Künstler die Nähe zu den Naturkräften, zu Wind und Wetter, die Masse an Grün, das durch den rohen Bretterverschlag gefilterte Naturlicht im Gaden und natürlich der See, der wie seine in der Hütte ausgestellte rote Aluminiumplatte als eine farbige, in die Berglandschaft eingebettete, Licht reflektierende Fläche erschien. Malerei ist für Schiess ein Prozess, den er als unabschliessbares Kontinuum wahrnimmt. Die glänzende, spiegelnde Wasseroberfläche des Sees erinnere ihn, sagte Schiess während des Aufbaus der Ausstellung, an ein noch feuchtes Gemälde, an dem er jederzeit weitermalen könnte.

Den Flachen Arbeiten, heute die international bekanntesten Werke von Adrian Schiess, gingen verschiedene andere Werkgruppen voraus. 1980 etwa legte der 1959 in Zürich geborene Künstler Früchte im Gemüsegarten seines Vaters aus, bemalte und fotografierte eine Blume und sein eigenes Gesicht, malte in den Schnee, mit Wasser auf eine asphaltierte Strasse oder spannte eine Malerei auf transparenter Plastikfolie zwischen Bäume. Diese Versuchsanordnungen sind in zwölf dokumentarischen Fotografien festgehalten, die der Künstler rückblickend als „Malerei mit fotografischen Mitteln“ bezeichnet. Im Helmhaus ist in Nachbarschaft zur Bodenarbeit von Polly Apfelbaum eine dieser frühen Arbeiten in einer neuen Fassung zu sehen. Erstmals öffentlich präsentiert war das Bodenstück aus ornamental zu einem Rechteck angeordneten Orangen und gelben Äpfeln in einer juryfreien Ausstellung 1980 in Zürich. Die für diese Arbeit charakteristische Instabilität von Form, Material, Farbe, Geruch und Bedeutung ist auch bezeichnend für die erst in den späten achtziger Jahren entstandenen Arbeiten der britischen Künstlerin Anya Gallaccio. 1990 zeigte sie in London tense, ebenfalls eine Bodenarbeit mit Orangen, allerdings ergänzt um eine Tapete, auf der eben diese Orangen abgebildet waren. In ihrem Schaffen mit organischen Materialien wie Schnittblumen, Früchten oder Schokolade ist der Prozess der Selbstverwandlung des Werkes zentral. Beispielsweise presst sie Blumen mit einer Glasplatte an Fenster oder verglaste Türöffnungen oder legt sie zwischen zwei starke Gläser, die flach auf dem Boden liegend oder aber vertikal an einer Wand installiert ausgestellt werden können. Die Blumen verwelken, trocknen aus und zersetzen sich. Diese Thematisierung von Vergänglichkeit ist eine Gemeinsamkeit zahlreicher Werke britischer Kunst der neunziger Jahre.

1980 arbeitete der junge Schiess auch an drei kistenartigen Objekten, die aus vier zu einem Rahmen montierten Brettern bestehen. Sie sind sockellos auf dem Boden auszustellen. Auch diese Arbeiten sind im Helmhaus zu sehen. Die bodenlosen Kisten artikulieren sich in verschiedener Hinsicht räumlich, einerseits durch ihre Bezugnahme auf den Fussboden, andererseits durch ihre Bemalung an der Aussenseite, die den Verlauf von Licht und Schatten während ihrer Bearbeitung im Atelier dokumentiert. Noch bevor Schiess Spanplatten bemalte, entwickelte er eine Malerei auf Pappen und Hölzern. Von Anfang an war dies mit der Absicht verbunden, mit der Malerei in den Raum zu gehen. Schiess bemalte in jenen Jahren Hölzer (Klötze, Bretter und Balken) und vor allem grosse Kartonfetzen, die danach zerrissen und als Fragmente, meistens wiederum in grösseren Gruppen ausgestellt wurden. Schon in seinen ersten Arbeiten zeichnete sich als ein starkes Interesse die an der Minimal Art orientierte Frage ab, wie Malerei („colour“) plastisch aufzufassen sei, ein Anliegen, das bis heute sein Schaffen bestimmt und ihn nicht nur mit Polly Apfelbaum sondern beispielsweise auch mit der amerikanischen Künstlerin Jessica Stockholder verbindet. Sie habe nie aufgehört zu malen, sagt Stockholder, sondern lediglich bildhauerische Elemente in die Arbeit aufgenommen. Die Künstlerin bezieht sich ausdrücklich auf die Überwindung des Tafelbildes durch Kaprow und die Collage als „Prinzip der Kombinatorik“, um als Malerin installativ zu arbeiten. Monochrome Farbflächen werden räumlich artikuliert, mehrdimensional aufgespannt, multipliziert oder zu Objekten verdichtet. Im Unterschied zu den Arbeiten von Schiess bleibt bei Stockholder allerdings die Wand zentrale Bezugsgrösse.

Neben der Malerei auf Platten beschäftigte sich Schiess schon 1989 mit digitalen Arbeiten, zunächst für Monitore, inzwischen zeigt er diese Farbverläufe in seinen Ausstellungen auch als Projektionen. Sein Werk umfasst ausserdem abstrakte Malerei auf Leinwand, Aquarelle, Fotografien von Oberflächen aller Art sowie figurative Zeichnung. Vor einigen Jahren kam als weitere Werkform die Assemblage hinzu, welche die Verwandtschaft mit Stockholder zu bestätigen scheint. Es handelt sich um mehrschichtige, voluminöse, extrem verdichtete Bilder, in die der Künstler auch bemalte Papiere, Reste von Farben und weitere Atelierabfälle wie zerdrückte Farbdosen einarbeitet. Neben diesen Materialbildern entstehen seit 1986 Polaroids und Fotografien, beispielsweise von Farbkrusten auf dem Atelierboden oder von Gemäldeoberflächen, die der Künstler auf Platten und Leinwand drucken lässt. Gemeinsam ist diesen sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen seiner Arbeiten die Fragmentierung. Es geht nie um das in sich geschlossene, sinnhafte Bild, sondern im Gegenteil immer um die Zerstreuung von Sinn und die Erfahrung eines befreiten, offenen, nicht am Bild orientierten, zweckfreien Sehens.

Die Eigenschaften analytischer Malerei (die malerische Befragung von Farbe, Träger, Auftrag) sind auch Merkmale der Malerei von Katharina Grosse. Die 1961 in Freiburg i. Br. geborene und in Berlin lebende Künstlerin benutzt allerdings lediglich die Ergebnisse analytischer Malerei, nicht deren Methoden. Ihre Malerei lässt eine Disposition für schnelles, situationsgerechtes und dem inneren Antrieb verpflichtetes malerisches Handeln erkennen. Ihre frühen Arbeiten leben vom Gegensatz zwischen der formalen Bildanlage und dem betont freien Umgang mit dieser. Die Malbewegungen mit breiten Pinseln und Besen spielten dabei eine zentrale Rolle. Grosses Malerei zeugt von der in sie übertragenen Energie, die sichtbar zu machen eines der Anliegen dieser Kunst ist. 1998 sprühte sie in der Kunsthalle Bern grüne Acrylfarbe in eine Raumecke ohne Vorzeichnung direkt auf Wand und Decke. Es ist die erste einer inzwischen kaum noch zu überblickenden Anzahl von in ihrer Existenz befristeten Sprüharbeiten, die die Künstlerin weltweit in Galerien und Museen, aber auch im öffentlichen Raum realisiert hat. Das Sprühen mit der Spritzpistole ist eine grundsätzlich andere Technik als das Malen mit Pinsel, wird doch der Bildträger bei diesem Verfahren nicht berührt. Die Farbe wird unter grossem Druck zerstäubt, punktuell auf den Bildträger gesetzt und verdichtet. Sprayarbeiten haben per se einen hohen Grad an struktureller Unschärfe.

Die Gleichzeitigkeit von Tätigkeit und Denken ist für Grosse eine grundlegende Eigenschaft von Malerei. Diese Auffassung erklärt, weshalb die Künstlerin die konzeptuellen und kompositorischen Entscheidungen seit einigen Jahren in den Malprozess selbst verlegt und immer weniger im Modell vorbereitet. 2001 bearbeitete sie im Artsonje Museum im südkoreanischen Gyeongju erstmals einen Raum integral und sprühte die Arbeit im Gehen. Die Malerei machte die verschiedenen Bewegungen im Raum als illusionistischen Bildraum sichtbar. Die Dynamisierung des Verfahrens und die Verwendung mehrerer Farben führen zu Raumarbeiten, die keinen bestimmten Betrachterstandort voraussetzen. Nach Armin Zweite „artikuliert sich in ihren Werken nicht das wiedererkennende Sehen, sondern das sehende Sehen. Und dieses sehende Sehen wohnt der Entstehung des Gesehenen und des Sehenden bei, wobei diese Genese im Ereignis des Sehens, Sichtbarwerdens und Sichbarmachens zur Debatte steht.“ Eine Konsequenz ist die „Zugehörigkeit des Beobachters zum Beobachtungsfeld“. Seit die Künstlerin Gegenstände, die sie in den Ausstellungsraum bringen lässt, in ihre Sprüharbeiten einbezieht, haben diese mehr und mehr installativen Charakter. Zu der Arbeit Infinite Logic Conference (2004) in der Kunsthalle Stockholm gehörten neben einigen Gemälden auch ein Bett, Kleider und Bücher. Ein zweiter Boden, eine Bücherwand und drei Gemälde waren Bestandteile des Double Floor Painting (2004) in Odense. Einrichtungsgegenstände besprühte Grosse zwar schon zuvor, beispielsweise 2003 das Bücherregal in der Galerie Conrads in Düsseldorf, doch erst in den späteren Arbeiten veränderte sie die Ausgangssituation für den bildnerischen Prozess, indem sie den Raum zuerst einrichtete, um diesen dann insgesamt zu bearbeiten. 2004 sollte eine Sprüharbeit ausserhalb des engen Rahmens einer Ausstellung realisiert werden. Für Katharina Grosse lag da nichts näher, als das eigene Schlafzimmer in verschiedenen Farben zu bearbeiten. Wände, Bett, Kissen und Decken, herumliegende Kleider, Bücher und Hefte – alles, was sich im Zimmer befand, wurde in die Malerei einbezogen. Davon wird hier noch zu sprechen sein. In Houston malte sie eine Bodenarbeit, bei der wiederum Bücher und Kleider, aber auch Zeitungen und Eier integriert wurden. Für ihre Ausstellung „Constructions à cru“ (2005) im Palais de Tokyo in Paris bestellte sie drei Sorten Humus, verschieden in Farbe und Feinheitsgrad, und liess grosse Mengen dieser teils mit Steinen, vereinzelt auch mit Holz durchsetzten Erde in der Halle vor einer Längswand zu einer langgezogenen Hügellandschaft aufschütten – ein Vorgehen, das zunächst an jenes von Robert Morris (und weiterer Künstler der Minimal Art) aus den sechziger Jahren und die daraus resultierenden Erdarbeiten erinnert. Grosse besprühte sodann die Wand sowie eine grosse Leinwand, die Erdarbeit, den Boden und die Treppe zum erhöht gelegenen Raum, in dem sie zusätzlich zwei ihrer Gemälde ausstellte. Die Farbe führte sie über die Wand, von der Wand über die Erdarbeit in die Halle und umgekehrt vom Hallenboden über die Landschaft an die Wand und erzeugte dadurch einen illusionistischen Farbraum im realen Raum. Grosse integrierte die Erdarbeit vollständig in die Malerei, indem sie einen homogenen Farbfilm über die Erde sprühte, der die Oberflächenstruktur des aufgeschütteten Humus abbildete und die Erdarbeit aus der Ferne als Farbkörper erscheinen liess. Im Unterschied zu Stockholder, die in ihren Rauminstallationen verschiedene Materialien und Gegenstände bemalt und amalgamiert, bearbeitet Grosse ausschliesslich die Oberflächen der einbezogenen Dinge. Die körperliche Integrität der besprühten Gegenstände bleibt von ihrer Intervention unberüht. Das ist auch die grundlegende Differenz zu Morris und seiner Praxis der Anti-Form. Untitled (Dirt) (1968) von Robert Morris, gezeigt in der Dwan Gallery innerhalb der thematischen Ausstellung „Earthworks“, an der auch Dennis Oppenheim, Michael Heizer, Walter De Maria und Robert Smithson beteiligt waren, bestand aus Erde, die mit Filz, Fett, Torf, Backsteinen und verschiedenen Metallen gemischt und zu einem Haufen aufgeschüttet wurde. Es ging weder um die Gestalt der Erdarbeit noch um ihre Visualität: Der Dreck war für drei US-Dollar das Pfund zu kaufen. Wie um diesen antiillusionistischen und intermedialen Charakter des Werks noch zu bekräftigen, realisierte Morris im selben Jahr eine weitere Erdarbeit, diesmal nicht in einer Galerie, sondern auf dem Gelände einer ehemaligen Sondermülldeponie in Michigan. Grosse dagegen verwendet Erde in ihren Arbeiten als Malerin, spezifisch. Die Ausstellung „Another Man Who Has Dropped His Paintbrush“ (2008) in der Palazzina dei Giardini Estensi in Modena, einem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, erfüllt vollends, was Zweite schon 2003 treffend als die Methode von Katharina Grosse erläuterte, nämlich die „Synthetisierung unterschiedlicher Problemlagen des Ästhetischen“ . Die Künstlerin bespielte und bearbeitete in Modena nicht nur wie gewohnt eine Raumfolge in einem Museum, sondern das gesamte, symmetrisch angelegte und auf einen Park ausgerichtete Gebäude. Da es sich um einen frei stehenden Pavillion handelt, der nach ihrer Ausstellung einer umfassenden Renovierung unterzogen wird, konnte sie diesen mit den Mitteln der Malerei buchstäblich durchdringen und öffnen. Sie integrierte nicht nur sämtliche Ausstellungsräume, sondern auch alle anderen Räumlichkeiten von der Technik bis zu den Toiletten sowie die entsprechende Inneneinrichtung in die anarchische Malerei und führte die Arbeit sogar in den Aussenraum fort, wo sie wiederum einen Erdhügel aufschütten liess. Dieser wurde ebenfalls bemalt, allerdings nur jene Seite, die vom Pavillion aus sichtbar war. Das Museum als Gebäude und als Institution wurde durch die Intervention aufgehoben und in Malerei transformiert.

Verfahren der Maximierung, nicht Reduktion der Mittel und Konzentration auf wenige Formen kennzeichnen auch die Malerei der 1975 in Bern geborenen Christine Streuli. Die indirekte Malweise führt zu stark formalisierten Bildern von einer eigenen distanzierten Bildhaftigkeit. Streuli verwendet selten Pinsel. Sie bevorzugt handwerkliche Vervielfältigungsverfahren wie Handdruck, Abklatsch oder Schablone.Vereinzelt greift die Künstlerin dabei auf technisch hergestellte Schablonen und Matrizen zurück, doch meistens stellt sie diese selbst her. Dabei wird die auf der Leinwand abzubildende Figur auf Papier, Karton oder Holz gezeichnet, ausgeschnitten, und die so entstandene Schablone für die Applizierung der Farbe auf den Bildträger eingesetzt. Die Herstellung der Matrize ist ein Transformationsprozess, in dem die vorgefundene oder durch Abklatsch erzeugte Figur vereinfacht und so weit formalisiert wird, dass sie leicht zu vervielfältigen ist. Ungenauigkeiten, Fehler und Verschiebungen, die sich dabei einstellen, interessieren Streuli nicht nur deshalb besonders, weil sie visuell überraschende, neue Elemente bilden und das Bedeutungsspektrum ihrer Arbeiten vergrössern können, sondern auch aus dem einfachen Grund, dass sie vor Augen führen, wie trotz Verwendung einer Reproduktionstechnik Originale entstehen. Das einzelne Bild dokumentiert somit seine Herstellung, ähnlich wie bei Toroni, der ausschliesslich mit Pinselabdrücken arbeitet. Auch bei Streuli verweist jede Arbeit auf die künstlerische Praxis, zugleich bekräftigt die Künstlerin die Autonomie des gemalten Bildes. Obschon sie grafische Verfahren nutzt, um ihre Bilder zu entwickeln, verwendet oder zitiert sie in ihren Arbeiten weder Siebdrucke noch Fotos, um die Bilder auf die Welt zu beziehen. Viele Arbeiten sind auf elementaren künstlerischen Darstellungsformen wie Linie, Fläche, Punkt und Raster sowie Zeichen und Ornament aufgebaut. Das Bildermachen ist für Streuli – wie beispielsweise auch für den eine Generation älteren Christopher Wool – eine Praxis der Reproduktion von Bildern. Untersucht wird das Verhältnis von Repräsentation und Abstraktion durch die Verwendung von Techniken, Prozessen, Bildern und Sprachen aus der Populärkultur. Malen ist auch für Streuli arbeitsorientiert, mit Oberflächen und deren Schichtung befasst und eine Handlung, welche ihren ganzen Körper einbezieht. Während Wool allerdings, wie Matthias Herrmann festgestellt hat, auch darüber nachdenkt, was Bilder nicht können, indem er dem „Zweifeln, Scheitern, Stottern, Absagen“ sichtbar Raum gibt, scheint Streuli eher mit jeder neuen Arbeit testen zu wollen, wie viel Verschiedenes in einem Bild kombiniert werden kann.

Im Helmhaus zeigt die Künstlerin eine neue Malerei sowie ein Objet trouvé von einer Reise nach Syrien. Ihre Affinität zum arabischen Raum hängt auf künstlerischer Ebene mit der ungebrochenen Präsenz abstrakter Ornamentik im Alltag zusammen. Mit diesem Interesse am Ornament steht Streuli in der modernen Malerei nicht alleine da, wie der Kunsthistoriker Markus Brüderlin jüngst aufzeigte, als er die Abstraktion als fortgesetzte Ornamentgeschichte bezeichnete. In Damaskus fand Streuli eine Deckenleuchte aus fein ziseliertem Messing, von Hand gestanzt, mit zwölf schmalen, kreisförmig angeordneten Lampengläsern. Diese orientalische Kostbarkeit erwies sich bei näherem Hinsehen als ein Objekt, das aus alten und neuen Bestandteilen unterschiedlicher Lampen zusammengesetzt war. Das Objekt ist vermutlich ein Imitat, die Interpretation einer Leuchte, wie sie in einem der Paläste von Damaskus hängen könnte. Es ist aber auch eine Assemblage, und dies interessiert die Künstlerin sowohl technisch wie inhaltlich in Zusammenhang mit ihrer Malerei, in der das Collagieren, das Zusammenführen von fremden Elementen zu einer neuen Identität entscheidend ist. Das Objet trouvé ist zusammen mit der vor Ort gemalten Bodenarbeit ausgestellt.

2007 waren neue Arbeiten von Christine Streuli im Pavillion der Schweiz auf der Biennale von Venedig in installativer Form ausgestellt. In der Publikation zu den verschiedenen Schweizer Beiträgen sind auch einige ihrer auf Reisen entstandenen Fotografien abgebildet. Wie dort von mir bereits ausgeführt, sammelt die Künstlerin in ihren Fotografien nicht Bildideen für die Malerei, sondern dokumentiert damit vielmehr die Themen und Komponenten ihrer Malerei in der Welt. Ausserhalb des Ateliers findet sie Phänomene, Situationen und Prozesse vor, die sie zuvor im Atelier kennengelernt hat, und zeigt diese in den Reisefotografien. Da das ästhetische Bild „kontextoffen“ ist, erscheint es der Künstlerin tragfähiger und für die Malerei geeigneter als das dokumentarische Bild. Kennzeichnend für die Fotografien ist, dass sie bildhafte Handlungen ohne künstlerische Absicht sowie Situationen und Bilder, die an Kunst erinnern, dokumentieren. Aber wie verhält es sich damit bei der Malerei? Was interessiert Streuli am Ornamentalen, am Muster, am Abklatsch? Ist es falsch anzunehmen, dass sie auch hier die Überraschung durch das unerwartete Bild sucht, dass entsprechend viele Arbeitsschritte absichtslos geschehen und die Verdichtung der gemalten Oberflächen das Ergebnis eines unabsehbaren, wenn auch klar strukturierten Prozesses ist, dessen Entwicklung am Bild, wie mir scheint, im einzelnen nachträglich nicht mehr nachvollzogen werden kann? Im potenziell unabschliessbaren Dialog zwischen Künstlerin und entstehendem Bild geht es um die Behauptung von Dauer und die Präsenz des Gemäldes als Malerei, die bei der Betrachtung deshalb bewusst werden, weil die Malerei nicht in erster Linie auf eine Wirklichkeit ausserhalb ihrer selbst verweisen muss, sondern eine sich beim Betrachten entfaltende Welt von Farbformen und Energie ist.

Die für das Helmhaus realisierte Bodenarbeit soll, wie zuvor ihre Malerei ENSEMBLE ENSEMBLE (2005) im Kunstraum Kreuzlingen, ortsspezifisches Werk und Matrize für autonome Gemälde in einem sein. In Kreuzlingen nutzte sie den Ausstellungsraum als Atelier. Sie belegte den Fussboden mit einem grossen Papier und stempelte darauf ein einfaches, regelmässiges zweifarbiges Muster in kräftigen Farben. Es war die Markierung eines Raumes im Raum, denn das noch feuchte Bodenmuster wurde durch ein Abklatschverfahren auf die in der Raumdiagonale einander gegenübergestellten Leinwände übertragen. Im weiteren Verlauf des bildnerischen Prozesses wurden diese Bilder sowohl einzeln bearbeitet als auch miteinander in Berührung gebracht. An zwei Stellen unterzog Streuli auch die Wände einer künstlerischen Bearbeitung, dort waren horizontal verlaufende gesprühte Linien zu sehen. Im Raum lag ein Druckstock, dessen Abdruck an mehreren Stellen auftauchte. Eines ergab das andere, als ob ein Bild für den Betrachter entfaltet und zugleich an vielen Stellen wieder verdichtet worden wäre. Farbiges Licht setzte Akzente im Raum und entlastete den Boden, aus dem die Arbeit hervorgegangen war und auf den sie bezogen blieb. So war das Publikum herausgefordert, die Wechselwirkung von Analyse und Synthese nachzuvollziehen und zu erkennen, dass in dieser Ausstellung, die man vielleicht als eine mehrteilige Arbeit auffassen sollte, Präsenz und Repräsentation eine untrennbare Einheit bildeten.

VI

Welche Erfahrungen ermöglichen die ausgestellten Arbeiten, inwiefern sind es solche der Malerei? In welcher Hinsicht reflektieren die Arbeiten Eigenschaften anderer Medien? Was wären in dieser Ausstellung transmediale Erfahrungen? Die Künstlerinnen und Künstler verwenden in den ausgestellten Arbeiten zweidimensionale Bildträger und malerische Verfahren im Raum. Ausschlaggebend für die Erscheinung der Arbeiten und die ästhetischen Erfahrungen, die sie ermöglichen, ist die Art der Verwendung des flachen Bildträgers. Flächen beinhalten Raum und Zeit. Flächen können hängen, liegen, stehen, und dies in unterschiedlichster Weise. Man kann eine Fläche durch einen Rahmen begrenzen oder in der seriellen Wiederholung von Flächen Offenheit herstellen. Man kann Flächen falten, stapeln, zerknüllen, zerreissen, in eine geometrische oder zufällige Form bringen. Immer hat die Malerei die Fläche als Ausgangspunkt. Diese Selbstbegrenzung gehört zu ihrer Identität. Nicht vorgegeben ist damit allerdings, wie sie das Potenzial ihrer Flächigkeit erkundet, nutzt und verwendet. Zu dieser Selbsterkundung der Malerei gehören, wie sich an den ausgestellten Werken nachvollziehen lässt, auch die Frage nach Berührungspunkten mit anderen Medien und der Versuch, diese aufzuzeigen.

Rosalind Krauss knüpft in ihrer Nacherzählung und Kritik des Modernismus an Greenberg und Judd an und erinnert daran, dass von der Malerei in der modernistischen Konzeption von „Oberfläche und Träger in unteilbarer Einheit (…) nur noch ein Gegenstand übrig blieb“. In ihrer Analyse des Films A Voyage on the North Sea (1973/74) des belgischen Künstlers Marcel Broodthaers zeigt sie, wie dieser mit filmischen Mitteln auf dieses Postulat der Flächigkeit reagiert und es ihrer Ansicht nach überwindet. Der Film figuriert eine Seereise, in der Aufnahmen von Booten auf See mit Aufnahmen eines Seestücks aus dem 19. Jahrhundert alternieren und dabei nicht nur das Bildobjekt zeigt, beispielsweise das Segel als Stoff, sondern auch den Bildträger, die Leinwand des Gemäldes. Krauss spricht in ihrer Lektüre dieses Films von der „Erfahrung einer Passage zwischen einzelnen Oberflächen“ . Sie plädiert mit Broodthaers für einen strukturalen Medienbegriff, der jedes Medium „als von sich selbst differierend“ versteht, und für den die „innere Komplexität“, das heisst die noch nicht realisierten Ausdrucksmöglichkeiten, die eigentliche Herausforderung darstellen.

Als Katharina Grosse ihr eigenes Schlafzimmer und alles, was darin an persönlichen Dingen offenlag, wie Schlafanzug, Bücher und Notizhefte, in einer Art und Weise bemalte, wie sie es sonst nur in öffentlichen, vorwiegend musealen Räumen im Hinblick auf eine Ausstellung tut, und diese Situation fotografieren und als fotografisches Bild verbreiten liess, stellte sie natürlich auch die Frage nach dem Medium: Macht es einen Unterschied, ob die Farbe auf ein Bücherregal in einer Galerie oder das eigene, ungemachte Bett gesprüht wird? Als sie in einem Interview darauf angesprochen wurde, antwortete sie als Malerin und sagte, das Persönliche sei durch die Malerei auf eine allgemeinere Ebene gehoben worden. Selbstverständlich war die Realität schwieriger zu handhaben, als dies ihr Statement vorgibt. Die Künstlerin stellte ein Klappbett in den Raum und schlief die folgenden Nächte neben ihrem Bett in einem Schlafzimmer, das sie zu einer Malerei transformiert hatte.

Der amerikanische Maler David Reed erinnert sich in seinem Text „Zwei Schlafzimer in San Francisco“ an ein Gespräch über die Bilder von John McLaughlin, in dem sein Gesprächspartner dessen Bilder als „Schlafzimmerbilder“ bezeichnete. Sie würden für das Wohnzimmer gekauft, später aber im Schlafzimmer aufgehängt, weil es sich dort persönlicher mit ihnen leben lasse. Reed antwortete: „Ich hatte immer den Ehrgeiz, Schlafzimmermaler zu sein.“ Die Schlafzimmer, an die er dachte, waren jene in Alfred Hitchcocks Film Vertigo, in denen sich Scottie und Judy, die als Madeleine eine zweite, fiktive Identität angenommen hat, leidenschaftlich lieben. In seinem Text erzählt er, wie er zu den orginalen Schauplätzen des Films reiste, und sich die filmische Handlung vergegenwärtigte. Ihm fiel auf, dass es im Film einen unerklärlichen Fehler gibt. Am Kopfteil des Bettes befindet sich eine Lampe, die zunächst keinen Lampenschirm hat, doch während Judy aus Madeleine heraustritt und auf die Kamera zugeht, ist plötzlich einer da. Reed versteht diese Inkonsistenz als absichtliche Manipulation des Regisseurs, um die „Mechanik der Illusion“ zu demaskieren. In Reeds eigenem Werk gibt es Fotomontagen, in denen in einem Filmstill aus Vertigo über dem Bett eines seiner Gemälde hängt. Der Künstler zeigte zudem in verschiedenen Museen eine Installation, die aus einem Bett, einem seiner Gemälde sowie einem Monitor bestand, auf dem ein Ausschnitt aus dem erwähnten Film lief. Reed versteht die Schlafzimmerszenen im Film als Hinweis darauf, „dass wir an solch intimen Orten unsere Phantasien und Vermutungen neu bewerten müssen. Alle Veränderungen beginnen im Schlafzimmer. Die Schlafzimmer in Vertigo existieren in unseren Erinnerungen und Vorstellungen. Dort hineinversetzt, befinden sich meine Bilder an einem privaten, intimen Ort. Doch diese imaginären Plätze gehören gleichzeitig zum öffentlichen Raum, den wir mit allen teilen. Vielleicht sind das die einzigen Plätze, die wir miteinander teilen.“ Mit Bezug auf Roland Barthes sieht Arthur C. Danto in Reeds Installation ein Plädoyer für den Betrachter als Produzenten: „Als Produzent zu lesen (…) gehört in den Bereich des Schlafzimmers. Es bedeutet, sich den interpretativen Möglichkeiten des Bildes zu öffnen und es sich zu eigen zu machen. Ein Schlafzimmermaler zu sein, heißt, Bilder herzustellen, die eine Einbeziehung des Betrachters als Koproduzenten erfordern.“

Wenn Katharina Grosse alltägliche Dinge wie ein Buch, ein Ei, ein Kleidungsstück oder eben ein Bett in ihre Arbeiten einbezieht, dann vervielfachen sich nicht nur die inhaltlichen Referenzen, sondern auch die Anzahl der Farbträger. In einer Ausstellung ist das Bett dann keine Schlafgelegenheit, sondern eine mit einem Tuch bespannte horizontale Fläche, welche bemalt werden kann, und die für diesen Zweck gekauft wurde. David Reed erfüllte sich seinen Wunsch, ein „Schlafzimmermaler“ zu sein, mit einer Installation, die ein dialektisches Bild war. Mit der Malerei in ihrem Schlafzimmer suchte auch Grosse diese Dialektik, die Distanz schafft und Reflexion ermöglicht. Wenn die situationsspezifische Kunst ein Gegenentwurf zum universell ausstellbaren Werk ist, da installative Arbeiten Werk und Ausstellung in einem sind, wie dies Juliane Rebentisch vorschlägt, dann stellt gerade diese Arbeit die Frage nach der Natur des Privaten und dem gesellschaftlichen Ort dieser Kunst, welche Grosse seit vielen Jahren öffentlich entwickelt, besonders eindringlich. Wie in früheren Arbeiten die Architektur, werden nun auch die beigebrachten Objekte durch die Bemalung visuell wie in einer Fotografie in die Fläche geholt, bleiben aber als Gegenstände im Raum erhalten. Die Multiperspektivität der Arbeiten von Katharina Grosse entsteht durch den Einbezug sowohl dieser Objekte als auch von Wand, Boden und Decke in die grossflächige Malerei. Dabei wird der Raum malerisch so weit neu organisiert, dass die Ausstellungen Eigenschaften eines Nicht-Ortes annehmen.

VII

Heterotopien sind nach Michel Foucault „Orte ausserhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können“ . Es sind, wie Johan Frederik Hartle schreibt, „Orte des Übergangs, die eine Raumaneignung kennzeichnen, in der räumlich fixierter Sinn eben durch seinen praktischen Gebrauch reinterpretiert wird“ . Wie bereits dargelegt, ist die Verabschiedung des zentralperspektivischen Bildraums durch Manets Thematisierung der Bildfläche und dessen „Einsicht in die kontingente Konstruktion räumlicher Ordnung“ nach Foucault der entscheidende Schritt zu einer neuen Bildauffassung, zu der wesentlich die individuelle Aneignung und Konstruktion von Raum gehört. Das ist eine der wichtigen, aber auch umstrittenen und immer wieder in Frage gestellten Errungenschaften der Moderne.

Bruno Jakob hat in einer phantastischen Zeichnung ein Projekt für eine Malerei im Aussenraum entworfen, die genau davon erzählt. Seine Arbeit zeigt einen Maler, der mit einem Pinsel einen Kreis von 200 Metern Durchmesser malt. Die in Wasser gemalte Zirkellinie führt durch einen Fluss, über Wiesen und vorbei an Bäumen, sie überquert Strassen, durchdringt Feuer und Rauch und macht auch vor Häusern nicht Halt. Bruno Jakob stellt sich vor, „im Kreis zu malen“. Der imaginäre Massstab der Zeichnung gibt einen Durchmesser des Kreises von zehn Metern bis unendlich an. Diese stets auf gleicher Höhe verlaufende Bewegung kann man sich wie einen waagrechten Schnitt durch das Universum vorstellen. Was ist dies für ein Ort? Der aus Distanz ausgemalte Saal im Helmhaus zeigt die vorgefundene Architektur und stellt die Frage, was darüber hinaus da ist. Ist unsichtbare Malerei erfahrbar?

Niele Toroni arbeitet mit dem Abdruck des Malwerkzeugs und schafft lediglich eine latente Verbindung zwischen Farbe und Malgrund. Er folgt seit 1967 einer klaren Methode, die nicht auf die Schaffung einer Figur, eines Bildes ausgerichtet ist, sondern Arbeit abbildet. Es gibt keine Repräsentation und keine Werkentwicklung. Es gibt allerdings die Präsenz der Arbeit, die durch jede neue Intervention des Künstlers aus der unendlichen Anzahl von Möglichkeiten eine weitere Konfiguration der Elemente in situ sichtbar macht. Wie ein Vogelschwarm, der sich im Herbst bildet, auffliegt und sich unterwegs permanent neu gruppiert.

Für Adrian Schiess war die Begegnung mit der Arbeit von Niele Toroni eine der wichtigen frühen Anregungen. Seine Platten können ebenfalls in immer neuen Anordnungen gezeigt werden, wobei für Schiess jede Ausstellung dieselbe Geltung hat. Malerei ist für ihn nur als Fragment eines nicht vorstellbaren Ganzen möglich. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn er unterschiedliche Werktypen im selben Raum zeigt und dabei beispielsweise Tafelbilder mit farbigen Projektionen überblendet. Jede Formulierung ist eine momentane, und diese Momentaneität, die Zufälligkeit des Bildes, teilt sich dem Betrachter mit, beispielsweise durch das einfallende Licht auf den glänzenden Oberflächen der Platten, die verdichteten Farben und Malabfälle in den Materialbildern oder die Spuren auf dem Boden des Malateliers, die Schiess fotografisch auf Leinwand reproduziert.

Instabilität ist auch ein Element der Bilderfahrung bei Polly Apfelbaum. Ihre postminimalistischen Bodenarbeiten, die Skulptur und Malerei sind, bilden Orte des Übergangs, für die Instabilität und Latenz charakteristisch sind. In Zürich arbeitet sie mit Stoffen, die mit Pailetten bestickt sind, ohne diese zu bemalen. Die mit der Schere individuell zugeschnittenen Stoffstücke sind auf dem weiss lackierten Fussboden so angeordnet, dass das Bildfeld in den Raum mit den Arbeiten von Adrian Schiess hineinführt.

Grosse dagegen verwendet Erde in ihren Arbeiten als Malerin, spezifisch. Die Ausstellung „Another Man Who Has Dropped His Paintbrush“ (2008) in der Palazzina dei Giardini Estensi in Modena, einem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, erfüllt vollends, was Zweite schon 2003 treffend als die Methode von Katharina Grosse erläuterte, nämlich die „Synthetisierung unterschiedlicher Problemlagen des Ästhetischen“ . Die Künstlerin bespielte und bearbeitete in Modena nicht nur wie gewohnt eine Raumfolge in einem Museum, sondern das gesamte, symmetrisch angelegte und auf einen Park ausgerichtete Gebäude. Da es sich um einen frei stehenden Pavillion handelt, der nach ihrer Ausstellung einer umfassenden Renovierung unterzogen wird, konnte sie diesen mit den Mitteln der Malerei buchstäblich durchdringen und öffnen. Sie integrierte nicht nur sämtliche Ausstellungsräume, sondern auch alle anderen Räumlichkeiten von der Technik bis zu den Toiletten sowie die entsprechende Inneneinrichtung in die anarchische Malerei und führte die Arbeit sogar in den Aussenraum fort, wo sie wiederum einen Erdhügel aufschütten liess. Dieser wurde ebenfalls bemalt, allerdings nur jene Seite, die vom Pavillion aus sichtbar war. Das Museum als Gebäude und als Institution wurde durch die Intervention aufgehoben und in Malerei transformiert. Christine Streuli malt auf den weissen Museumsboden ein Gemälde, das sie während des Malens als Matrize für die Herstellung von zusätzlichen Arbeiten verwendet. Das Bild ist Bodenfläche und begehbar. Duane Zaloudek entwirft Möbel als Bestandteil seiner Malerei. Er versucht einen idealen räumlichen Kontext zu schaffen, um die transparenten Weissflächen seiner Aquarelle auf den Betrachter wirken zu lassen. Und er nimmt das in New York formulierte modernistische Paradigma der Flächigkeit, der unteilbaren Einheit von Oberfläche und Träger beim Wort und zeigt den leeren Papierbogen als Hut. Eine bescheidene Veränderung der Form ergibt einen Gegenstand des amerikanischen Alltags, der bei aller Ironie, die mit im Spiel sein mag, tatsächlich die Entstehung unendlich vieler Bilder und Erzählungen anzustossen vermag.

Die Erkundung und künstlerische Entfaltung der inneren Komplexität des Mediums Malerei, zu der auch die Suche nach Bezugspunkten mit anderen Medien gehört, ist den in diesem Essay diskutierten Künstlerinnen und Künstlern gemeinsam. Es ist ein zentrales und noch längst nicht erschöpftes Arbeitsfeld heutiger Malerei. Man muss über das Medium Malerei in Begriffen nachdenken, die es mit dem grösseren System verbindet, zu dem es gehört. Die individuelle Aneignung und Konstruktion von Raum durch Malerei scheint dabei seit Lucio Fontana, Yves Klein und insbesondere seit der Minimal Art eine Möglichkeit zu sein, abstrakte Malerei zu betreiben.

Das Ausstellen wurde zu einem genuinen Bestandteil der künstlerischen Arbeit. Schon in den siebziger Jahren stellte der amerikanische Kunstkritiker und Künstler Brian O’Doherty in einer Artikelfolge in der Kunstzeitschrift Artforum die Geschichte des Modernismus bezogen auf die angebliche Neutralität des weissen Galerie- und Museumsraums dar. Das modernistische Ideal der Flächigkeit bringt er mit der Wand in Verbindung, die durch die „shaped canvas“ von Frank Stella völlig neue Bedeutung gewonnen habe. Mehr als irgendein einzelnes Gemälde sei das Bild eines weiss gestrichenen, leeren Raumes kennzeichnend für die Kunst des 20. Jahrhunderts, schreibt O’Doherty. „Die Geschichte der Moderne ist mit diesem Raum aufs Engste verknüpft. Das heißt, die Geschichte der modernen Kunst kann mit Veränderungen dieses Raumes und der Art und Weise, wie wir ihn wahrnehmen, in Wechselbeziehung treten. Wir sind nun an dem Punkt angelangt, an dem wir nicht zuerst die Kunst betrachten, sondern den Raum.“ Zu diesem Raum gehört der Betrachter, dessen „Beitrag zu dem, was er sieht oder erfährt, die Signatur ist, die alles erst authentisch macht“. O’Doherty schreibt aus der doppelten Perspektive des Künstlers und Ausstellungsbesuchers und zeigt, dass die Geschichte der modernen Kunst weitgehend identisch ist mit jener ihrer Präsentation. Die Präsentationsformen haben sich zu einem wesentlichen Bestandteil der Werke entwickelt. Vor allem installative Verfahren, die den Betrachter in Bewegung versetzen, scheinen heute dazu prädestiniert zu sein, das Wissen um die Kontingenz räumlicher Ordnung und generell die Erfahrung der prozessualen, veränderlichen, momentanen, zeitlichen Eigenschaften der Realität zu thematisieren.

Erstveröffentlichung in: Boden und Wand / Wand und Fenster / Zeit: Polly Apfelbaum, Katharina Grosse, Bruno Jakob, Adrian Schiess, Christine Streuli, Niele Toroni, Duane Zaloudek, Ausst.-Kat. Helmhaus Zürich, 2009, S. 2–145.


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