Anya Gallaccio – Have, 2001 – Foto: Michael Fontana
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Anya Gallaccio – Have, 2001 – Foto: Michael Fontana
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Anya Gallaccio – Have, 2001 – Foto: Michael Fontana
Anya Gallaccio – Have, 2001 – Foto: Michael Fontana
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Anya Gallaccio – Have, 2001 – Foto: Michael Fontana
Anya Gallaccio – Have, 2001 – Foto: Michael Fontana
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Anya Gallaccio – Have, 2001 – Foto: Michael Fontana
Anya Gallaccio – Have, 2001 – Foto: Michael Fontana
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Anya Gallaccio – Have, 2001 – Foto: Michael Fontana
Anya Gallaccio – Have, 2001 – Foto: Michael Fontana
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Anya Gallaccio – Have, 2001 – Foto: Michael Fontana

Anya Gallaccio besuchte Amden erstmals im tiefen Winter. Sie war vor ihrer Begehung des verschneiten Geländes weder mit der Landschaft noch mit der Geschichte des Ortes vertraut. Während unseres Spaziergangs kam ich auch auf das gescheiterte »Paradies auf Erden« von Josua Klein zu sprechen, dessen Geschichte ich aufgeschrieben hatte und gerade zur Veröffentlichung vorbereitete. Auf dem Rundgang fiel der Künstlerin in einer Waldlichtung ein alter, einzelner, nicht besonders starker Apfelbaum auf. Das Bild dieses Baumes wurde bestimmend für das künstlerische Programm, das sie in Amden im Rahmen der Ausstellung Viereck und Kosmos verwirklichen sollte.

Die kulturgeschichtliche Bedeutung eines Materials spielt für Gallaccio in der konzeptionellen Phase des bildnerischen Prozesses eine wichtige Rolle. Die künstlerische Realisierung einer Idee aber wird durch das optische Potenzial des Materials und die räumlichen Bedingungen, unter denen ein Werk zu sehen sein wird, bestimmt. Die roten Äpfel, mit denen die Künstlerin den alten Apfelbaum im Sommer behängte, bildeten um den Stamm und die tragenden Äste dichte, kräftige Trauben. An diesen Stellen schien das Astwerk in einer Umkehrung der natürlichen Verhältnisse aus den Äpfeln hervorzuwachsen. Für die Auswahl der Äpfel ausschlaggebend waren die äussere Erscheinung, die bildhaften Eigenschaften, die paradoxerweise an den Apfel schlechthin und zugleich auch an ein hergestelltes Produkt denken liessen – nicht an eine gewachsene Frucht: Der Apfel sollte von einem möglichst gleichmässigen, tiefen Rot, gross und von ebenmässiger Form sein. Die Künstlerin suchte nicht nach einem schmackhaften, frischen Apfel, sondern nach einer standardisierten, visuell indifferenten Frucht. Merkmal und Reiz der Arbeiten Gallaccios mit organischen Materialien ist die Instabilität des erzeugten Bildes. Das war hier nicht anders: die roten Apfeltrauben verfärbten sich nach wenigen Tagen braun, die knackigen Früchte wurden weich und begannen zu faulen, die prallen Formen der Äpfel fielen in sich zusammen oder schrumpften zu kleinen Trockenfrüchten.

Das Projekt von Anya Gallaccio in Amden umfasste verschiedene Teile, einige waren optisch nicht als künstlerische Eingriffe zu erkennen, sondern nur konzeptionell zu beschreiben: So liess die schottische Künstlerin als Hommage an Willi Baumeister (1889–1955) in Nachbarschaft zum zeitweiligen Wohnhaus des deutschen Malers, der 1912/13 im Künstlerkreis um Otto Meyer-Amden lebte, eine Reihe aus Apfelbäumen pflanzen, alte Sorten mit sprechenden Namen, die inzwischen alle fest an ihrem Platz verwurzelt sind und Früchte tragen. Landwirt Robert Büsser brannte auf seinem Hof im »Schwanden« Apfelschnaps, und Anya Gallaccio entwarf die Flaschenetiketten. Eine Sonderabfüllung ging als Edition der Künstlerin in alle Welt. Das war zwei Jahre nach der Ausstellung, im Juli 2001, als sich Gallaccio erneut für einige Tage in Amden aufhielt und die kleinen Bäume mit je einem vergoldeten Apfel behängte, die während des Sommers langsam austrockneten. Auf einem dieser Äpfel waren zu Beginn der Ausstellung die folgenden Zeilen des englischen Dichters T. S. Eliot zu lesen, die mir im Rückblick wie die Beschreibung dessen erscheinen, was ich im Verlauf der vielen, auf diese frühe Ausstellung folgenden Jahre, die ich in Amden mit Künstlerinnen und Künstlern arbeitete, selbst erfahren habe:

We shall not cease from exploration,
And the end of all our exploring
Will be to arrive where we started
And know the place for the first time.

– T. S. Eliot, Four Quartets, Little Gidding, V, September 1942.

– Roman Kurzmeyer 

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