Katalin Deér – Neues Arbeiten, 2010 – Foto: Felix Lehner
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Katalin Deér – Neues Arbeiten, 2010 – Foto: Felix Lehner
Katalin Deér – Neues Arbeiten, 2010 – Foto: Felix Lehner
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Katalin Deér – Neues Arbeiten, 2010 – Foto: Felix Lehner
Katalin Deér – Neues Arbeiten, 2010 – Foto: Katalin Deér
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Katalin Deér – Neues Arbeiten, 2010 – Foto: Katalin Deér
Katalin Deér – Neues Arbeiten, 2010 – Foto: Katalin Deér
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Katalin Deér – Neues Arbeiten, 2010 – Foto: Katalin Deér

Ausgangspunkt der fotografischen Recherche von Katalin Deér ist die gebaute, von Menschen belebte und geprägte Kulturlandschaft, in der die Künstlerin als Flaneurin mit der Kamera unterwegs ist und ihre Bilder findet. Sie zeigt Ansichten von Architektur und lässt die Bauten leicht, vielleicht sogar flach erscheinen, als wäre die Situation aus einem Modellbastelbogen ausgeschnitten und danach in die Landschaft gefaltet worden. 

Deér selbst spricht einmal von einer durch Fotografie geglätteten Welt. Das Interesse an der plastischen Dimension von Architektur, das ihre Fotografie zum Ausdruck bringt, weckte umgekehrt den Wunsch, Bilder zum Bestandteil skulpturaler Werke zu machen. Die Künstlerin suchte nach einem materiellen, selbst körperhaften Träger für die Bilder und nicht lediglich nach einer Präsentationsform. In der Folge experimentierte sie mit Gips, Stuckmarmor und Beton, veranlasste die Herstellung mobiler Elemente, die an Tischplatten oder Stellwände erinnern und auch entsprechend in Ausstellungen verwendet werden, und legte die Bilder nicht mehr nur aus, sondern ging dazu über, Fotografien bei der Produktion der Platten in das Material einzulassen. Eingegossen in diese Oberflächen, bleiben zwar die Bildinhalte der Fotografien dieselben, doch ihr Gewicht, ihr Volumen sowie ihre Anmutung veränderten sich.

Ein Material, mit dem Katalin Deér seit einigen Jahren besonders intensiv arbeitet, ist Stuckmarmor. Seine Blütezeit erlebte dieser Werkstoff in der Verwendung für Bauschmuck im späten Barock, zunächst vor allem im sakralen Bereich. In der Gründerzeit und im Jugendstil war Stuckmarmor ein für den dekorativen Innenausbau von Repräsentationsbauten von Bedeutung. In Deérs Ausstellung in Amden lag eine vor Ort hergestellte Arbeit aus Stuckmarmor eingebettet zwischen groben, losen Bodenbrettern und Heuresten auf dem unebenen Boden des Heuspeichers. Über viele Wochen war die Platte immer wieder durch verschiedene Personen in Handarbeit geschliffen worden, ihre danach glatte und glänzende Oberfläche lud dazu ein, sie zu berühren. Als zweite Arbeit war auf dem Stallboden im Erdgeschoss eine grossformatige Fotografie ausgelegt. Entstanden war das Bild 1997 in New York, vergrössert wurde es erstmals für diese Ausstellung. Deér hat es im Rohschnitt ausgestellt, in jenem Zustand, in dem sie die Kopie aus dem Labor bekommen hat: Die Ränder sind ungenau und schnell beschnitten, das Bild ist nur ungefähr ins Papierformat eingepasst. Es zeigt ein Schaufenster von aussen, in dem ein Paar schlichte, schön verarbeitete Holzstühle aus dem frühen 20. Jahrhundert ausgestellt waren. Die Spiegelungen der Glasscheibe, durch die hindurch Deér die beiden Objekte festhielt, zeugen vom Leben auf der Strasse, das sich gleichzeitig im Rücken der Fotografin abspielte, die Reflektionen holen die ausgestellten Stühle bildlich zurück in den Alltag. Die in Amden getrennt ausgestellten, also nicht zeitgleich wahrnehmbaren Arbeiten handeln beide von Begehren und von tiefen, mehrschichtigen und unergründlichen Oberflächen. Die Platte war, wie die Künstlerin treffend bemerkte, »fremd an diesem Ort«. Stuckmarmor gehört inhaltlich nicht in eine Scheune und als Material nicht in unsere Zeit. Was Katalin Deér über den Stuckmarmor sagt, das gilt auch für das auf dem schmutzigen Stallboden ausgerollte Strassenbild aus New York. Aus dieser Differenz, die sich visuell mitteilte, schöpfte die Ausstellung ihre ästhetische Bedeutung.

In einem Text über Walter Benjamin fragt Boris Groys, ob die Unterscheidung von Original und Kopie noch sinnvoll sei. Nein, lautet seine Antwort: »Was die Moderne von den alten Zeiten unterscheidet, ist allein die Tatsache, dass die Originalität eines Werks in der Moderne nicht anhand der materiellen Beschaffenheit dieses Werks festgestellt wird, sondern durch seine Aura, durch seinen Kontext, durch seinen geschichtlichen Ort.«1 Katalin Deér dagegen, so stellen wir uns nun vor, würde mit dem konkreten Objekt (seiner Körperlichkeit und Anmutung) argumentieren und fragen, ob es nicht auch möglich wäre, dass allein schon die Veränderung der materiellen Beschaffenheit einer Fotografie, auch wenn die Darstellung davon unberührt bliebe, das Bild als Gegenstand in der Wirklichkeit neu verorten und damit seine Aura begründen könne.

– Roman Kurzmeyer 

  1. Boris Groys, »Die Topologie der Aura«, in: —, Topologie der Kunst, München / Wien 2003, p. 40.

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